Hallo, Zeitungen: Kleinste Produkteinheit eures Schaffens sind Meldungen, Artikel, Beiträge. Sie zum Bündel schnüren – müsst ihr nicht mehr; sie „eigen“ machen und vermarkten – schon eher
So begreift doch endlich: Eure industrialisierte, kommerzialisierte, hoch entwickelte Journalisterei ist dafür da, einzelne Meldungen, einzelne Artikel, einzelne Beiträge zu produzieren. Das Bündeln, dieses Zusammenstellen vieler kleiner Einzelprodukte zu einem Paket, das hatte – historisch gesehen – ja durchaus seine medienkulturelle Zeit und erst recht seine medienökonomische Berechtigung. Ist jetzt aber vorbei.
Es war angenehm und hilfreich, dass ihr uns Lesern voller Leidenschaft und mit viel Routine einen bunten, immer wieder ebenso nahrhaften wie überraschenden Korb voller kleiner und großer Journalismus-Produkte zusammenstelltet: Für unsere täglichen Aha-Effekte und unsere wöchentlichen So, so-Sorgen. Es kam euch und am Ende auch uns billiger, den exakt gleichen Korb 100.000 mal zu packen und auszuliefern. Und es klappte über die Jahre auch immer reibungsloser, ja, innerhalb weniger Stunden – dank Schnellschreibern, Riesendruckereien, Laster-Flotten, Zeitungsausträgern (ich war selbst mal einer), Kiosken, Verkaufsboxen, Aufstellern in Flughafen-Lounges – was für eine Logistik, was für Aufwände! Irre. Ihr habt sogar spezielle „Wirtschafts“- oder „Sport“-Körbchen erfunden und mitunter täglich gepackt. Diese Mühe. Diese Erfahrungen damit. Wow!
Aber, wirklich, ihr müsst das jetzt alles nicht mehr machen!
Konzentriert euch auf eure eigentlichen Produkte: Die einzelne Meldung, den einzelnen Artikel, den einzelnen Beitrag. Ohren auf die Schienen, Recherchen, Evaluationen, ordentlich schreiben – ihr wisst schon. Und dann ab ins Redaktionssystem damit und dort zu einem zeitgemäßen Einzelprodukt formen: Internet-gerechte (HTML-)Auszeichnungen setzen, verschlagworten, indizieren, verlinken – jedes Stück suchmaschinenfein anziehen, sozusagen. Damit diese feinen, wohfeil hergestellten Einzelprodukte in der vernetzten, verknüpften, verdatenbankten Welt auch zurechtkommen. Damit sie gefunden, gelesen, markiert, favorisiert, geteilt, für gut befunden und archiviert werden. Das ist ihre Bestimmung – und das ist ihr Wert, ihr wichtigster Wert, ihr verkäuflichster Wert. Und natürlich bekommen diese Einzelprodukte auch ihren Preis. Den müsst ihr, wie gewohnt, betriebswirtschaftlich berechnen – nur eben ganz neu!
Ihr müsst auch kein Papier mehr bedrucken, keine Laster und Austrägerinnen mehr auf die Piste schicken, keine Verkaufs- und Verleih- und Verschenkstellen für eure Papierprodukte mehr unterhalten
Das alles könnt ihr euch im Wortsinne sparen; oder zumindest einschränken und betriebswirtschaftlich neu bewerten. Dann kommt ihr bestimmt auch auf eine neue Berechnung des Einzelpreises für eine Meldung, einen Artikel, einen Beitrag.
Wie bitte, für diese Einzelprodukte mit ihren Einzelpreisen gibt es keine Vertriebsstrukturen, keine Zahlungsbereitschaft, keinen Markt? Das Gegenteil ist der Fall: Kabelnetze, Mobilfunknetze und Internet, PC’s, Tablets und Smartphones, Web-Browser, Mobile Browser und Apps stellen das schnellste und bruchloseste Vertriebssystem dar, dass ihr euch für eure Einzelprodukte nur vorstellen könnt. Internetprodiver, Mobilfunkunternehmen, und App-Store-Betreiber verdienen monatlich mit Pauschalgebühren, Einzelverkäufen und auch Bündelverkäufen viel Geld, die Kunden sind zahlungsbereit und die Abrechnung funktioniert auch. Und täglich gibt es Millionen Menschen, die eure Einzelprodukte gerne lesen, empfehlen, teilen, markieren und sogar archivieren.
Ja, genau, eure Einzelprodukte, also eure Meldungen, Artikel und Beiträge sind es! Diese Einzelprodukte lösen Raunen und Staunen, Diskussionen und Debatten, Zustimmung und Entrüstung aus, weil ihr darin meldet und berichtet, bewertet und einordnet, was eben wichtig ist. Das macht ihr gut, in der Regel besser als alle anderen, ihr seid die Profis. Aber verkaufen wollt ihr diese eure Einzelprodukte partout nur in diesem altmodischen Bündel-Verfahren – anderenfalls verschenkt ihr sie lieber. Das ist sowas von 90er.
Beispielsweise diese aktuelle Titelgeschichte zur Zeitungskrise in der ZEIT. Die wollte ich gerne lesen, von mir aus auch auf Papier. Aber eben nur diese Titelgeschichte. Doch dafür müsste ich das ganze dicke Einzelheft kaufen, für 4,20 Euro. Ist mir aber von allem zu viel: zu viel Gewicht, zu viel Papier, zu viele Einzelprodukte, die ich gar nicht will. Ich will partout nur die Titelgeschichte – verkauft mir aber keiner einzeln. OK, dann eben in digitaler Form, etwa innerhalb der ZEIT-App. Geht aber auch nicht. Ich kann dort ebenfalls nur das gesamte Bündel „Ausgabe 48/2012“ kaufen, für erstaunliche 4,49 Euro. Tja, also lese ich diese Titelgeschichte – beziehungsweise deren Einzelteile – via Web-Browser. Und das, jetzt kommt’s:, kos-ten-los.
Das, verehrte Zeitungen, verstehe ich einfach nicht
Ihr seid bereit, eure Kernprodukte – die einzelne Meldung, den einzelnen Artikel, den einzelnen Beitrag – via Web zu verschenken. Will ich als Nutzer eures professionellen Tuns aber aus Aufrichtigkeit (und Selbsterhaltungstrieb) dennoch für ein solches Einzelprodukt bezahlen, muss ich euch ein ganzes Regal weiterer Einzelprodukte mit abkaufen. Noch dazu ist dieses Zwangsbündel digital teurer als die gedruckte und durch die Gegend transportierte Version. Warum? Warum? Warum? Entschuldigung, da bin ich auch als euch wohlgesonnener Konsumprodukt-Kunde irgendwie verwirrt. Ich halte euer Verhalten, euren Umgang mit euren Kernprodukten für schizophren. Vielleicht ist diese Schizophrenie euer Problem? Die Zeitungskrise nur selbst eingeredet? Wer seid ihr wirklich, Zeitungen?
Also, OK, ihr könnt ja eure Riesenbündel ruhig weiter schnüren und so weiter machen. Aber: ihr müsst das nicht tun.
Klar, ihr habt das so gelernt und ihr mögt treue Kunden und Abonnenten haben, die das so wollen. Dann solltet ihr es auch weiterhin so ausliefern, ob nun als Papier- oder auch als ePapier-Bündel (letzteres vielleicht nur nicht so schizophren überteuert). Aber wäre es nicht klug, diese Bündelung nur als eine Option unter vielen anderen zu betrachten, wie ihr mit euren Kernprodukten, den Einzelstücken umgeht? Mehr noch: Könntet ihr diese Bündelung eurer Einzelprodukte nicht auch als eine Dienstleistung definieren, die ihr zwar selbst „traditionell“ auch noch betreibt, aber auf die ihr kein Monopol habt oder beansprucht?
Gewiss, ihr solltet das Bündeln eurer Einzelprodukte am besten können, na klar, ihr wollt damit ja Leser binden, Communities organisieren. Eure Webseiten sehen ja schon jetzt aus wie ein Flagship-Store daran könnt ihr gern festhalten. Nur lasst diesen anachronistischen Zwang des Bündel-kaufen-müssens. Und erlaubt doch auch anderen, eure einzeln an sie verkauften Einzelprodukte zu bündeln, zusammenzustellen, auszuliefern – es bleiben doch eure Kernprodukte, die drin stecken. Und selbst wenn sie dort mit Meldungen, Artikeln, Beiträgen eurer Mitbewerber, mit denen von Bloggern, mit denen von Firmen vermischt werden, so what? Wir Leser digitaler Medien und Kommunikatoren in sozialen Netzwerken machen das ständig so. Übrigens schon länger.
Zeitungen, macht euch locker, und lasst womöglich sogar andere solche Bündel drucken, in denen dann auch eure Kernprodukte enthalten sind. Etwa die heutigen Copyshops, Medienkioske oder Buchläden, die mit einer neuen Generation von Druckern neue, attraktive, zeitungsähnliche Pakete oder Paketchen ganz auf Wunsch anfertigen – es bleiben doch auch dort eure Kernprodukte, die drin stecken. Ihr müsst diese Einzelprodukte eben entsprechend gut kennzeichnen und vermarkten. Ihr könnt sie durch euren Stil prägen, sie „eigen“ machen. Ihr könnt euch über Scoops und Exlusivität profilieren, das sind ja eh eure unkaputtbaren Lieblingswährungen. Und ihr könnt sie durch Qualitätsbewusstsein markttauglich halten. Also alles wie bisher.
Nur müsst ihr sie eben als Einzelprodukte betrachten und dafür einen neuen, realistischen Einzelpreis berechnen: Für jede Meldung, jeden Artikel, jeden Beitrag. Natürlich im Bündel gerne rabattiert, für die Großabnehmer, welcher Art auch immer. Die wird es schon noch geben, keine Angst.
Aktualisierung: Just während dieser Text entstand, stellte die Online-Redaktion der ZEIT einen Internet-gemäßen Zugang zu jedem einzelnen Artikel vor (Entwickler-Schnittstelle, Fachbegriff API) – darüber informierte netzwertig. Bei einem einem sogenannten Hackday durften Entwickler am gestrigen Freitag, den 23.11., diesen Zugang ausprobieren und bewerten. Dieser (API-)Zugang könnte ein Schritt in Richtung „Bündelung durch andere“ sein.