Netzneutralität: „Flatrates“ für den Internetzugang mit Verbrauchsgrenzen deckeln und Surf-Geschwindigkeiten drosseln: die Telekom skizziert ihre Zukunft – auch die des Straßenverkehrs?
Das ist also eine dieser neuen Raststätten mit den vielen Umsteige-Stellen, den sogenannten „Switch-Points“. Sieht doch von weitem ganz passabel aus, denkt er sich, gar nicht so abstoßend, wie die notorischen Lästerer sie beschreiben. Ah, und da ist ja auch sein Terminal „D“, zu dem ihn die ausgesprochen freundliche Bus-Begleiterin gewiesen hat.
Er ist mit seinem Speed-E-Bus pünktlich eingetroffen, und eigentlich hat er noch 200 Kilometer vor sich, doch nun muss er in einen anderen Bus wechseln – und in eine andere „garantierte Reisegeschwindigkeit“. Natürlich die langsamere. Liegt an seinem Tarif. Und daran, dass er das Kleingesetzte in Beförderungbedingungen zwar OK geklickt, aber nur überflogen hat. Dieses „Flatravel-Abonnement für Vielreiser“, mit dem die neuen, privaten Busunternehmer werben, ist unschlagbar günstig. Doch wessen monatliches Reisekilometer-Kontingent aufgebraucht ist, der muss eben auch mitten auf der Reise am nächst gelegenen Switch-Point umsteigen in einen der Normal-E-Busse, die nur noch auf der ganz rechten Normalspur fahren, auf 80 Stundenkilometer beschränkt (im e-Volksmund längst mit #SnailTrail verschlagwortet).
Die Einrichtung weiterer Autobahnspuren – für „Superhighspeed“ und „Basic“ – kam erst mit dem Einknicken des Regierungsbündnisses vor der „Straßendatenkraken-Lobby“
„Na, auch gedrosselt unterwegs?“ Er schaut sich um. Hinter ihm sitzt auf der kreisrunden, kamin-magenta-roten Warteinsel eine junge Dame mit Reise-Rucksack vor den Beinen. „Hey, Sie waren doch mal in einem meiner Seminare und studierten, … , Moment, hab‘s gleich, … , Transportation Design! Stimmt‘s?“ Sie nickt und es scheint ihm, als würde sie etwas betreten nach unten sehen. „Das hier war aber keine Idee von uns, das müssen Sie mir glauben.“ Von ihrem Institut stamme zwar das Konzept der speziellen „Autobahn-Bus-Spuren“, auf denen die „smarten E-Busse“ immer freie Fahrt haben, um zwischen den „neuronalen Switch-Point-Knoten“ in schneller Taktung hin- und herzufahren. Doch die Einrichtung zweier weiterer Spuren – für „Superhighspeed“ und „Basic“ – kam definitiv erst mit dem Einknicken des Regierungsbündnisses vor der „Straßendatenkraken-Lobby“, wie sie mit abfälligem Unterton sagt. Dann kneift sie die Augen zu und macht vor seinem Gesicht die typische „Pinch“-Geste. Bekannt vom Vergrößern eines Bildes auf einem Touchscreen, gilt das pinchen mittlerweile als Erkennungsgeste der e-Bürgerbewegung für „Straßennetzneutralität“, die bedeuten soll: ,Wir holen uns den Raum, der uns gehört und schieben euch zurück an den Rand!‘
Jetzt ist ihm auch klar, wo sie vermutlich gerade herkommt: Letzte Woche gab es anlässlich der Einweihung des 150. „Switchpoints“ einen Festakt mit der Verkehrsministerin und dem Staatssekretär für Internet und Digitale Gesellschaft, organisiert von der privaten Raststätten-Betreiberfirma „Switch & Serve“. Und ein Aktionsbündnis aus autonomen Freistraßlern und radikalen Underground-Surfern rief zu einer Kundgebung. Da waren bestimmt auch die „Pincher“ dabei. Mit diesem 150. Knoten ist die zweite Ausbaustufe des Basisnetzes abgeschlossen. 4.500 Autobahnkilometer sind nun fünfspurig ausgebaut und zu einem lückenlosen Netz miteinander verbunden, mitsamt der ausgeklügelt aufgebauten Switch-Points. Alles komplett von einem Megaspeed-Glasfaser-Datennetz unterlegt. Das Vorzeigeprojekt des „Five-Speed-Fiber-Highway“ war damit nicht nur drei Monate vor der geplanten Fertigstellung in Betrieb; vielmehr katapultierte es Deutschland zurück unter die Top 5 der Länder mit den besten Daten-, Lasten-und Personen-Verkehrs-Infrastrukturen der Welt. ,Genau mit dieser Vision haben sie erst die Bevölkerung für sich gewonnen und dann die Politiker unter Druck gesetzt‘, erinnert er sich und schaut so solidarisch wie möglich zu ihr rüber.
Selbst bei Elektro-Autos ist Deutschland nun wieder vorn – und auch diese famosen neuen E-Busse sind spitze
Seit Jahren lag es wie bleihaltiges Benzin auf der Seele der autobahnsinnigen Deutschen, dass ihre maroden Straßen schon lange nicht mehr zu jener Weltspitze zählten, an der ihre Autos nach wie vor stehen. Selbst bei den lange Zeit hinterher hinkenden Elektro-Autos ist Deutschland nun wieder vorn – und diese famosen neuen E-Busse sind spitze, mit ihren vergleichsweise wenigen Sitzplätzen und geringen Reichweiten, aber mit grandiosen Geschwindgkeits-Werten und pfiffiger Umstiegs-Systematik. Das Gepäck ist in robusten Groß-Schubladen verstaut, die sich flink von einem in den anderen Bus wechseln lassen, dank identischer Bauarten und bindender DIN-Vorschriften.
Weshalb sich das Konglomerat aus Providern, Transport-Unternehmen, Mautstellen-Betreiber und Internet-Giganten so mit der Umsetzung beeilte, liegt auf der Hand: Je eher nicht nur der öffentliche Busverkehr, sondern auch der kommerzielle Güterverkehr und der private Personenverkehr die von nun an komplett kostenpflichtigen Schnellstraßen befahren würde, desto eher sprudelten die Einnahmen, um die Milliarden-Investitionen wieder hereinzuholen. Und um möglichst viele möglichst schnell auf diese teueren, aber eben super ausgebauten Straßen zu bekommen, griffen die Betreiber zu Preismodellen, die aus den 10er Jahren bekannt waren. Also scheinbare Pauschaltarife mit Deckelung und einer Rückstufungs-Systematik, die sich direkt auf die Fahrgeschwindigkeit auswirkt. Der Clou dabei ist, dass jedes Fahrzeug, das die neuen Straßen benutzen will, einen „Digitracker“ eingebaut haben muss, der unmittelbar mit der Fahrelektronik verkoppelt ist. Meldet der Digitracker, dass die dem Tarif entsprechende Kilometerzahl aufgebraucht ist, drosselt er das Fahrzeug automatisch auf die Basisgeschwindigkeit und zwingt es durch die unterirdischen Leitsteifen auf die Normalspur. Weil das Ganze auch Verkehrsströme lenken kann und Unfälle drastisch reduziert, war diese Leistung deutscher Ingenieurskunst gesellschaftlich durchsetzbar. Selbst die Versicherungen stimmten am Ende zu – nachdem das Konglomerat ihnen die hoch dotierten Policen für Ausfallsicherheiten der Straßenleitsystem zusprach.
„Was soll‘s, fahren wir eben entschleunigt auf dem Snail-Trail“
„Ich würde Sie eigentlich gerne auf eine Fahrt mit dem Speed-E-Bus einladen“, sagte er und tippt mit dem Finger den senkrecht stehenden Mega-Tochscreen an, auf dem die Fahrpreise und jede Menge bunter Videofilmkacheln zappeln. Prompt poppt ein Fenster auf und spielt den Videojingle des Busunternehmens, mit diesem bescheuerten Slogan „Hokus. Pokus. Speed-E-Bus!“ – krass nervig. „Aber leider bin ich diesen Monat … “ – „is‘ schon okay“, unterbricht sie ihn. „ich fahr ohnehin nur mit diesen Schweinesystem-Bussen, weil mein Speed-Bike kaputt ist. Wahrscheinlich hat mir so ein Fiber-Freak die Reifen zerstochen, weil ihm unser Pinch-Aufkleber nicht passte. Aber, was soll‘s, fahren wir eben entschleunigt auf dem Snail-Trail.“ Während Sie in den gerade eingetroffenen „Basic-Bus“ einsteigen, sagt sie zu ihm: „Wecken Sie mich, wenn wir da sind?“
Er guckt sie etwas verwundert an: „Wollen Sie nicht wenigstens den Spielfilm sehen, den das Bord-Entertainment spielt? Sind doch immer die brandaktuellen Kino-Knaller am Start … “ „Haha, guter Witz!“ sagt sie höhnisch. „Schon vergessen? Wir fahren gedrosselt, im Normalo-Bus, da is‘ nix mit Blockbustern. Die laufen nur in den Speed-E-Bussen, und auch auch nur dann, wenn Sie auf Premium-Flatrate fahren. Aber Sie können sich ja gerne den mauen Archivkram reinziehen, den die hier abnudeln“, murmelt sie, und verkriecht sich in ihrem Kapuzenpulli. Kaum hat der Bus seine gedrosselte Reise-„Geschwindkeit“ erreicht, zeigt auch der Monitor Bewegung. Nach schier endlos vielen 3D-Werbe-Trailern kommt der Film. Verblasste Farben, handgemalte Titel-Tafeln. Oha, eine dieser legendären Märchenverfilmungen: „König Drosselbart“.
Na, dann gute Nacht!