Also, ich weiss nicht recht, was ich davon halten soll. Da spielt, während einer großen Gala-Veranstaltung in einem großen Saal in Berlin eine siebenköpfige Band. Sie groovt sich unauffällig durch den, für solche Abende mittlerweile stereotypischen, gleichwohl angemessenen und angenehmen Soul-Jazz-Pop à la Sade, Crusaders und Alicia Keys. Na schön.
Doch nur vier Musiker spielen wirklich Live, während die anderen drei auf drei riesigen Monitoren agieren: Den Tastenmann, den Stehbassisten und den Schlagzeuger fährt die Technik als Video ab. Jeder ist vor neutralem schwarzen Hintergrund gefilmt, perfekt ausgeleuchtet und ebenso gut klangtechnisch „abgenommen“. Bilder und Sound sind glasklar, und durch die Ausmaße der drei Monitore – etwa 1,50 Meter hoch und 1,00 Meter breit – erscheint die Studio-Rhythmusgruppe quasi in Lebensgröße, irgendwie nah und nahe an „real.“
Vor dem Echtzeit-Video-Trio spielen und singen dann die noch echteren Musiker. Live. OK, „Halb-Playback“ heisst so etwas ja eigentlich, weil Gitarre, Saxofon, Cajon und Gesang Live gespielt, aber auf die Konserve drauf gemischt werden. Auf der Bühne sieht das Ganze dann so aus:
Auf den ersten Blick ist dieses VideoEinspielerHalbPlaybackLiveKonzert durchaus reizvoll, ein Hingucker. „Ist ja kurios“, denkt man unwillkürlich, „mal was anderes“. Das stimmt auch. Aber ist es wirklich gut, im Sinne eines Halb-Live-Erlebnisses?
Nun, bezogen auf diesen Abend, auf diese Band und auf diese Inszenierung finde ich das Konzept nicht überzeugend genug. Das mag an den Akteuren und/oder an technischen Einstellungen liegen. Die gefilmten Musiker erscheinen auf den gewaltigen Monitoren etwas zu groß, überlebensgroß, kann man sagen, sie wirken dadurch deutlich präsenter als ihre livehaftigen „Mitspieler“. Und speziell diese Studio-Musiker hier „chargieren“ zu viel – irgendwer sagte ihnen vermutlich, sie müssten für die Aufnahmen ihr Instrumentalspiel mit übertriebener Gesichtsgymnastik unterstreichen.Ein Grossteil ihrer Grimassen kommt aufgesetzt rüber, sehr bemüht, statt inspiriert und locker. Auch sind die Video-Musiker heller beleuchtet und etwas lauter ausgesteuert als die Echtzeiter. Dadurch nehme ich letztere, obwohl sie mir ja wahrhaftig gegenüberstehen, weniger wahr, sie stehen im Wortsinn im Halbschatten der Monitorreros. Seltsam.
Haben VideoEinspielerHalbPlaybackLiveKonzerte dieser Art einen Unterhaltungswert, eine Zukunft?
Playback halte ich für generell unattraktiv, sowohl im Fernsehen als erst recht bei Veranstaltungen. Auch dem Halb-Playback kann ich nichts abgewinnen – wohl wissend, dass bei immer mehr Live-Konzerten immer mehr Video-Einspieler, Pyro-Effekte und theatralische Inszenierungen aus „Live“ immer öfter „Halb-Live“ machen, weil der Ablauf über die Musik geht. Aus diesem Grund meide ich Hallen- und Stadien-Konzerte weitgehend und sehe mir dann allenfalls mal daraus resultierende DVDs an.
Wenn Live-Musiker nun – zuerst und vor allem – einer vorgefertigten Video-Inszenierung entsprechen müssen, um innerhalb des Korsetts der Aufzeichnung musikalisch und performend zu „funktionieren“, dann sind sie meines Erachtens kaum mehr als Karaoke-Figuren. Bemitleidenswerte Echtzeit-Darsteller, die viel eher Gefahr laufen durch Fehler oder schlechte Tagesform negativ aufzufallen, als mit ihrer Performance das Publikum wirklich zu bannen. Dies zumindest so lange, wie Aufbau und Ablauf des Ganzen die Blicke und die Ohren mehr auf den konservierten als auf den real beigesteuerten Teil lenken. So etwas ist doch zutiefst unspannend.
Natürlich kann eine „Rampensau“, können Vollblut-Performer solche Inszenierungen kapern und die vorproduzierten Begleit-Videos im Wortsinn in den Hintergrund drängen, das Publikum vollends für sich gewinnen. Hier besteht allenfalls die Gefahr, dass es irgendwann nicht mehr funktioniert, weil Performance immer auch Dynamik meint und Live-Performance auf der Bühne vor allem die Magie der „Eigendanymik“ hat, die wenig berechenbar ist – und sein sollte. Dieser Eigendynamik sind je mehr Grenzen gesetzt, desto mehr Anteil die aufgezeichneten Parts und die Technik am Gesamtwerk haben.
Es kommt also auch bei VideoEinspielerHalbPlaybackLiveKonzerten darauf an, Technik und Darstellung, Aufzeichnung und Improvisation, Einstudiertes und Inspiration auszubalancieren. Dennoch, wie eingangs erwähnt, so richtig weiss ich noch nicht, was ich davon halten soll.