„Wir wollen keine unterhaltsame Sendung machen.“ Das sagt Kai Gniffke, erster Chefredakteur von ARD-„aktuell“, über die von ihm verantwortete „Tagesschau“. In einem jüngst veröffentlichten Interview, geführt anlässlich der 20.000 Tagesschau-Sendung, will die „Tagesspiegel“-Medienredakteurin von Gniffke wissen, ob die Tagesschau nicht auch mal „Spaß“ vertrage, Stichwort „Gurkenlaster-Unfall“ von Daniel Küblböck (den auch die Tagesschau 2004 meldete). Darauf antwortet Gniffke, dass er, falls jemandem wie Dieter Bohlen so ein Unfall passieren würde, „den Bohlen machen würde“. Weil die meisten Menschen am nächsten Tag darüber reden würden, und dem müsse sich die Tagesschau beugen.
Soweit, so verständlich. Dass auch im Ersten Meldungen der Marke „Klatsch und Tratsch“ ihren Platz finden, überrascht (mich) nicht wirklich. Doch dann versteigt sich Gniffke zu der Aussage, „Wir wollen keine unterhaltsame Sendung machen“ – wobei er vermutlich das „unterhaltsame“ entsprechend distanziert betont haben wollte, was beim Tagesspiegel (online) jedoch nicht erkennbar war.
Gleichwohl, die Aussage steht – und regt (mich) zum Nachdenken an. „Wir wollen keine unterhaltsame Sendung machen.“
Das Nachrichten-Flaggschiff der ARD, die älteste und populärste Nachrichten-Sendung des deutschen Fernsehens, will also NICHT unterhalten sondern stattdessen – ja, was eigentlich, Herr Gniffke? Eine langweilige Sendung machen, etwa?
„Informieren“ wollen Sie, gewiss. Melden und berichten, aufklären und erklären, ermitteln und vermitteln, und das stets journalistisch. Aber eben NICHT unterhalten. OK, message understood, denke ich.
Aber, Herr Gniffke, ARD-Aktuell-Redaktion, wieso das denn bitte?
Wieso soll das Betrachten von Fernseh-Nachrichten mich als Zuschauer nicht unterhalten?
Ist ein stets ziemlich genau 15 Minuten dauerndes Potpurri aus Meldungen und Berichten etwa nicht als Kurzweil gedacht, als informative Kurzweil?
Mich als Zuschauer unterhalten meint doch, unter anderem, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen, mich geistig und intellektuell anzuregen, mich regelrecht zu „involvieren“, ja, in mir auch Emotionen auszulösen, wie Mitgefühl, Mitleid, Trauer oder auch Freude, Anteilnahme, Stolz. Etwa mit Unfallberichten („wie schrecklich“), Sportreports („wie erfreulich“) oder Unwetterwarnungen („wie beunruhigend“). Oder soll mich das alles kalt, sprich un-unterhalten lassen?
Wenn die Tagesschau nicht unterhalten soll – wieso folgt sie dann täglich dieser fein ziselierten Dramaturgie aus kurzen und längeren Berichten, vorgelesenen Wort-Bild und kompakten Video-Meldungen? Müssten dann nicht, je nach Zulieferungslage, auch mal zehn oder zwanzig reine Textmeldungen kommen, weil eben keine Bewegtbilder zur Verfügung stehen?
Müsste die Länge der Tagesschau nicht täglich variieren, je nach Menge der von Ihnen als Redaktion ausgewählter und als wichtig betrachteter Nachrichten? Also, gerne mal nur fünf Minuten – „So, meine Damen und Herren, das war’s schon für heute, mehr war unserer Ansicht nach nicht los in Deutschland und der Welt“ – aber immer wieder auch mal dreissig Minuten, weil einige unfassbare Ereignisse einfach mehr Berichte und Erklärungen und Meinungen erfordern, als es 15 Minuten ermöglichen. (Für diesen Ansatz sprechen ja die hin und wieder platzierten „Brennpunkt“-da capos).
Wenn Nachrichten nicht unterhalten sollen, wieso dann beispielsweise diese Inszenierungen mit Börsenreportern, die in Frankfurt vor der Geister-Kulisse eines längst ausgemusterten Handelsparketts munter über „die Stimmung an der Börse“ plaudern – wo doch die nackten Fakten der täglichen Kurs-Bewegungen Information genug sein würden: Wo „Stimmung“ ist, da wittert es nach „Unterhaltung“, nicht wahr?
Überhaupt, Herr Gniffke, wer sagt denn, dass die „Unterhaltung“ der Zuschauer dem „Informieren“ derselben quasi diametral, womöglich gar unversöhnlich gegenübersteht – wie sie es für die Tagesschau offenbar formulieren, ja, geradezu postulieren?
Die Wissenschaft sagt es jedenfalls nicht, oder besser, schon lange nicht mehr. Ganz im Gegenteil: „Menschen konsumieren journalistische Leistungen und Produkte nicht nur aus intellektuellen bzw. kognitiven Gründen, um sich in ihrer Umwelt orientieren zu können, sondern auch emotional bzw. affektiv, um sich zu zerstreuen und zu unterhalten“, schrieb der Medienwissenschaftler Rudi Renger bereits im Jahr 2000. Die moderne Journalismusforschung, so Renger, begreife den Journalismus erwiesenermaßen als etwas, was Zuschauer, Leser, Nutzer als „funktionales Produkt“ betrachten: „… zum einen als Alltagsressource, die der sozialen Zirkulation von Bedeutung und Vergnügen dient, zum anderen als kulturelles Handeln.“
Aha!
Und dieses informierend, zerstreuend, unterhaltend intendierte Nutzungsverhalten ist nicht erst in den heutigen Zeiten so, in der es von audiovisuellen, interaktiven Multimedia- und Rund-um-die-Uhr-Plattformen aus den Schloten kommerziell ausgerichteter Nachrichten-Fabriken nur so wimmelt: Nein, bereits in den Anfängen eines an die Massen gerichteten Journalismus war „die Leser zu unterhalten“ die gängige Absicht und Methode.
Das sagt ebenfalls die Medienwissenschaft: „Die Bedeutung der ‘Moralischen Wochenschriften‘ (den ersten Zeitungen, etabliert im 18. Jahrhundert) liegt in der Funktion, aufklärerisches Gedankengut zu popularisieren, um es auf diese Weise einem breiteren Publikum näher zu bringen – über die Gelehrtenstuben und Bibliotheken hinaus “. So legte es die Berliner Kommunikationswissenschftlerin Margreth Lünenborg schon 2005 dar. In ihrem Buch „Journalismus als kultreller Prozess“ nimmt sie dabei die bis heute andauernde Gegenüberstellung zwischen „Ernsthafter“ und „Unterhaltender“ Kultur als maßgebliches Bezugssystem für die entsprechende Einordnung des Journalismus als vor allem unterhalten wollendesInformier-Genre: „In der Dualität von E- und U-Kultur ist Journalismus historisch als ‘Tagesschriftstellerei“ und ‘Schreiben für den Broterwerb’‘ eindeutig der U-Kultur zuzuordnen.“
Mehr noch: Die Medienforschung könne heute davon ausgehen, so Lünenborg, dass es aus der Perspektive des Publikums keinen Gegensatz zwischen Information und Unterhaltung gebe, ja, nicht einmal zwischen Fakten und Fiktionen. Vielmehr würde all das (also Unterhaltung und Information) zu komplentären Bestandteilen einer (medialen) Wirklichkeitsauseinandersetzung. Kurzum: Für Lünenborg (und die moderne Journalistik) sind Informations- und Unterhaltungsfunktionen im Rezeptionsprozess nicht voneinander zu trennen.
Wenn Sie Herr Gniffke, Chefredakteur von ARD Aktuell, nun betonen, oder gar darauf beharren, mit der Tagesschau nicht unterhalten zu wollen, spricht dies etwa für eine fahrlässige Unkenntnis oder eine gewollte Ignoranz des medienwissenschafltichen Erkenntnisstandes?
Oder es ist „nur“ ein reflexartiges, zugleich unreflektiertes Marketing-Gerede, um Ihre „Produkte“ von denen der Konkurrenz, speziell der Privatfernsehsender, deutlich abzugrenzen, besser noch abzuheben? Nur zu gerne definiert sich speziell die ARD ja darüber, ihre Nachrichten eben nicht wie die Privatsender als Unterhaltung entstelltanzubieten, sondern seriös und nicht unterhaltend. Was für ein kapitales Missverständnis, was für eine fahrlässige Undifferenziertheit, aus der man schliessen könnte, die ARD würde ihr Publikum primär statistisch auszählen, aber nicht wirklich kennen.
Für die Wissenschaft geht eine schwarzweissmalerische Negierung desUnterhaltungswertes von Nachrichten-Journalismus an der Realität der Massenmedien-Konsumenten vorbei: „Journalismus leistet auch durch das Ausmaß an Unterhaltung, das er bietet, einen Beitrag zur Konstituierung gesellschaftlicher Identität der Bürger und Bürgerin“, stellt Margreth Lünenborg fest. Wer jetzt denkt, diese Erkenntnis spiele der Nachrichten-Boulevardisierung zu, und damit dem Anfang vom Ende der abendländischen Journalismus-Kultur, der ist lediglich Herrn Gniffke auf den ARD-Marketing-Leim gegangen. Aber keine Angst, der ist nicht besonders haftfähig.