„Spotlight“ ist ein bemerkenswerter Spielfilm über jene langwierigen Recherchen des „Boston Globe“ von 2001 bis 2002, die den jahrelangen, systematischem Kindesmissbrauch durch Kirchenpriester aufdeckten. Spannend inszeniert und meisterlich geschauspielert ist er auch ein Plädoyer dafür, dass Journalismus Teamwork ist – und für offene Gesellschaften unverzichtbar.
Eskalation liegt in der Luft. Nach Monaten akribischer Recherchen, die das Unfassbare mehr und mehr Gewissheit werden lassen, tragen die vier Redakteure des speziell eingerichteten Investigativteams des Boston Globe, das unter dem Namen „Spotlight“ agiert, alle schon ihre Spuren von Mühsal und Stress. Doch einem scheint es nun zu viel zu werden. All die Schilderungen der Opfer über das ihnen zugefügte Leid, über Traumatisierungen und Seelenqual; die Herzlosigkeit der Täter ob ihres jahrelangen, brutalen und systematischen Missbrauchs an kleinen, wehrlosen Kindern und eingeschüchterten, entmündigten Jugendlichen; dazu die offenbar bewussten und gezielten Vertuschungen von Kirchenfunktionären, Anwälten und Behörden.
Sichtbar um Fassung ringend wird der bislang so gewissenhafte und gefestigt wirkende Rechercheur Michael Rezendes – exzellent gespielt von Mark Ruffalo – nun von seinen Mitgefühlen für die Geschundenen übermannt, während zugleich sein Gerechtigkeitssinn an seinem Geduldsfaden zerrt: so viel akribisch geschürfte Erkenntnisse haben sie schon beisammen, er will sie nicht länger zurückhalten, sondern den Skandal und die daran Schuldigen endlich öffentlich machen. Er heult vor Verzweiflung, seine innere Anspannung lädt die Luft förmlich elektrisch auf, eine – womöglich gewalttätige – Entladung scheint nur einen Funken entfernt.
Teamwork als Basis für Qualität und Erfolg
Doch an dieser Stelle entscheidet sich der Film, der auf wahren Begebenheiten beruht, eben nicht der Hollywood-typischen Mechanik zu folgen. Man kennt das ja, dass vormals redliche Protagonisten ausrasten, und man ihnen, den ausgewiesenen Gutmenschen, auch unredliche Mittel verzeiht, weil sie ja für „die richtige Sache“ zuschlagen. Nein, stattdessen inszeniert Regisseur Tom McCarthy, der zusammen mit Josh Singer auch das Drehbuch schrieb, in „Spotlight“ das Team als den Star der Geschichte – und professionelles Teamwork als Basis für Qualität und Erfolg.
In dieser Schlüsselszene – etwa zur Hälfte des Films – wird der Verzweifelte eben nicht allein gelassen, vielmehr wenden sich seine aufmerksamen Kollegen (Rachel McAdams, Brian d’Arcy James) und ihr verantwortungsvoll agierender Teamleiter (Michael Keaton) ihm zu, fangen ihn mental auf. Sie diskutieren gemeinsam die weitere Strategie, wollen die gesammelten Beweise lieber noch weiter verifizieren, damit sie belastbar genug für eine Veröffentlichung sind.
Ein solch solidarisches mit- und füreinander Arbeiten ist wichtig, so funktionieren gute, professionelle Teams. Und bei „Spotlight“ erstreckt sich dieses Teambewusstsein sogar auch auf Ressortleitung, Chefredaktion und Verlagsleitung. Dabei zeichnet der Film keineswegs ein Bild konfliktfreier Harmonie, im Gegenteil. So ist die eigentliche treibende Kraft für die Investigation der Chefredakteur (Liev Schreiber), den der Verlag erst kürzlich aus einer anderen Stadt nach Boston holte, damit er den Abwärtstrend bei der Auflage stoppt. Der Blick von außen gereicht dem Neuen als Vorteil, weil er nicht in den städtischen Seilschaften verstrickt ist, die beispielsweise den Ur-Bostoner Teamleiter immer wieder zu bremsen scheinen.
Hervorragendes Drehbuch sorgt für „Suspense“
Gleichwohl steht der neue Chefredakteur unter Erfolgsdruck, und mit jedem Monat weiterer, aufwändiger und teurer werdender Recherchen wird auch die Verlagsführung nervöser, will Ergebnisse sehen. Immer wieder folgen engagierte Diskussionen und Entscheidungsgespräche zwischen Verlagsleitung, Chefredaktion und Ressortleiter (John Slattery), drohen Kurswechsel, gibt es Überlegungen, das Ganze abzubrechen. Am Ende aber stehen Verlag und Chefredaktion bis zur Veröffentlichung des Missbrauchsskandals hinter dem Team – und stehen damit auch für einen Typus Verleger, der insbesondere für Nachrichten- und -Aufklärungsjournalismus wichtig, ja, unverzichtbar ist.
Seine Spannung bezieht dieser bemerkenswerte Spielfilm zum einen aus der Geschichte selbst, weil die Ausmaße des Ungeheuerlichen mit jedem Rechercheergebnis zunehmen. Zum anderen sorgt das hervorragende Drehbuch für „Suspense“, und das übrigens komplett ohne Gewaltszenen. Gewiss, die Gewalt an Kindern und Jugendlichen sind der Ausgangspunkt der Story, doch den Zuschauern wird sie ausschliesslich verbal nahe gebracht. Ihre explizite Darstellung braucht es nicht. Und es gibt auch keine inquisitorischen Schläger, die den Journalisten drohen oder sie attackieren – auch dieser Verzicht auf ein stereotypes Stilmittel ist für einen großen Hollywoodfilm bemerkenswert.
Die Verbrechen aufzudecken, den Tätern auf die Spur zu kommen, das treibt die Journalisten, das zieht auch den Zuschauer in den Bann. Dazu kommt die sehr gut in Szene gesetze Dynamik innerhalb des Teams, das sich gegenseitig stützt, das zwischen Hoffen und Verzweifeln schwankt, wenn es weitere Quellen entdeckt, dann aber doch nicht an sie herankommt, wenn es Vertrauen zu Kronzeugen aufbaut, die sich mitunter wieder unglaubwürdig machen.
Ein Lehrstück über journalistisches Handwerk
Spotlight erzählt von journalistischem Handwerk und kriminalistischen Wechselbädern: in Archiven, Dokumenten und Kirchenjahrbüchern wühlen; sich immer wieder mit verschlossenen, abweisenden Anwälten, Kirchenvertretern oder Stadtpolitikern treffen, um sie dennoch zu Kooperation zu bewegen; in zahllosen Gesprächen die Aussagen von Opfern aufzeichnen, diese aber auch auf Glaubwürdigkeit prüfen. Kurzum: Erkenntnisse belastbar machen, die Arbeit des jeweils anderen bewusst anzweifeln, überprüfen – auch das weiss ein gutes Team auszuhalten. Allein das macht „Spotlight“ zu einem Lehrstück, das Journalistenschulen und Journalistik-Studiengänge fortan als Pflichtmodul integrieren sollten.
Wie bekannte Vorläufer des Genres – „Die Unbestechlichen“ (1975), „The Insider“ (1996) oder „State of Play“ (2009) – zeigt auch Spotlight den Journalismus als Berufung, als ein Bekenntnis zu Aufklärung. Allerdings bietet er mit der Inszenierung des professionellen, belastbaren Teamworks, ihrer handwerklichen Fähigkeiten und Arbeiten sowie des gemeinsamen Ringens von Verlag, Chefredaktion und Investigativteam einen Gegenentwurf zu den bislang dominierenden Feldzügen selbst ermächtigter Einzelkämpfer.
Der detailgenau ausgestattete Film stellt die Mühen der journalistischen Ebene in den Mittelpunkt und wirft damit eine wahrhaft entscheidende Frage auf, die an mindestens einer Stelle des Films auch so formuliert wird: Wer, wenn nicht Journalisten, würde sich derart intensiv um eine solche „Enthüllung“ kümmern? Keine Crowd, keiner Twitter- oder Facebook-Community, keine Initiativgruppe würde wohl so weit kommen, wie dieses ausgezeichnete Team (für die Enthüllungen erhielt das „Spotlight“-Team 2003 den Pulitzerpreis). Eine einflussreiche Institution wie die Kirche ins Wanken zu bringen, erfordert nicht nur belastbare Beweise, sondern seinerseits auch Vertrauen der Gesellschaft in die publizistisch-wirtschaftliche Stärke und Integrität der Journalisten.
Im Film ist ein familiärer Freund des Teamleiters in die Vertuschung des Skandals verstrickt, der Journalist schwankt – und entscheidet sich für den Berufsethos, drängt den Freund zu Geständigkeit. Der Riss, der danach durch das stabil erschienene Vertrauensverhältnis geht, steht im Film stellvertretend für das Verhältnis (westlicher) Gesellschaften zur Institution Kirche, die bekanntlich als moralische Instanz gilt. Ihre jahrelange Duldung und Deckung des Missbrauchs ist nichts anderes als ein Moralversagen unfassbaren Ausmaßes. Wie der Film im Abspann ergänzt, waren die Ermittlungen des Boston Globe der Impuls zu weiteren, quasi weltweiten Recherchen und Enthüllungen, die nach und nach den systematischen Kindesmissbrauch innerhalb der katholischen Kirche in zahlreichen Ländern der Erde aufdeckten, auch in Deutschland.
Plädoyer für investigativen Journalismus
Es liegt nahe, in „Spotlight“ nicht nur einen spannenden, meisterlich geschauspielerten Enthüllungsfilm zu sehen, sondern auch ein Plädoyer für investigativen, aufdeckenden Journalismus, der wohl eine der letzten Bastionen von großen Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen bleiben wird. Allerdings lässt „Spotlight“ keineswegs aus, dass Tageszeitungen bereits Anfang dieses Jahrhunderts durch Digitalisierung und Internet unter massivem Veränderungsdruck standen, der bis heute anhält und auch den Fortbestand des investigativen Journalismus gefährdet.
„Spotlight“ stellt damit nicht nur den heutigen Verlagseignern sondern auch der Gesellschaft die Frage, ob man diesen Journalismus aufgeben will – oder ob man ihn nicht vielmehr retten und notfalls gemeinschaftlich stützen sollte.
„Spotlight“ startet am 25.2.2016 in den deutschen Kinos.