Sie schwärmen, sie jubilieren. Robert Glasper, schreiben die Kritiker, würde mit seiner „Experiment“ genannten Kreuzung von Jazz und HipHop und Soul alle seine Vorgänger übertreffen.
Vorgänger, wie etwa Herbie Hancock, der vor rund drei Jahrzehnten mit Rock it die Electrobeats verjazzte, oder Miles Davis‘ großartige Rendezvous‘ mit den BreakBeats, oder auch US3 mit ihren cleveren Remixen von Blue-Note-Klassikern, vor etwa zwei Jahrzehnten. Viele Beobachter feiern den 33-jährigen Glasper als lang erwarteten Erneuere Als hätte es Jazz-modernisierende HipHop-Bands wie Stetsasonic oder Gang Starr nie gegeben, oder die mehrteilige Jazzamatazz-Reihe von (Gang Starr-Leader) Guru – an die dann Jazzer wie Roy Hargrove mit RH Factor, Wynton Marsalis mit Buckshot LeFonque anknüpften; oder auch Karl Denson, Trombone Shorty, und, und, und. Auch der famose Vokalist José James oder die vielseitige Esperanza Spalding stehen für zeitgenössisches Jazz-HipHop-Soul-melangieren. Eine große Abwesenheit von Jazz im musikalischen Hier und Jetzt gab es über die Jahrzehnte und gibt es nur für jene, die ohnehin nicht bei Jazz noch HipHop noch Soul hinhören (bei letzterem allenfalls, wenn er sehr, sehr retro klingt).
Doch Kritiker jubeln ja oft zu vorschnell, meist, wenn sie in einem Subgenre nicht kundig genug sind.
Oder aber sie verachten vorschnell, das sind in diesem Fall meist die Jazz-Puristen. Die finden eh immer alles langweilig, was nicht in improvisatorisch-musikalische Jazz-Metasphären abdriftet, die kaum einer versteht – und die sie deswegen als Wissende weise abnicken können. Dieses, mit Verlaub, etwas autistische Jazz-Verständnis hinterlässt (bei mir) seit Jahrzehnten den Eindruck, dass für solche Ohren der Jazz ohnehin nicht populär klingen oder sein dürfe. Vielmehr müsse er entweder traditionell swingen oder modern oder free sein, aber bitte nicht populär, dem Gegenüber von elitär.
Aber, die Hüter des Schwurbel-Jazz können weiter vor sich hin nicken. Robert Glasper wird es mit seinem vor rund drei Jahren begonnen Experiment hierzulande wahrscheinlich ohnehin nicht zu großer Popularität schaffen. Aber die braucht er womöglich auch nicht, weil es für ihn in den USA chartsmäßig seit Wochen gut läuft; das meint Verkäufe, Fernsehshow-Auftritte, Nachfrage, noch mehr Verkäufe. Das wiederum lenkt bei uns die Aufmerksamkeit von Arte und Feuilletons auf ihn. Dort kommt natürlich insbesondere die kühne, gleichwohl unwidestehliche Cover-Version von Nirvanas Teen Spirit gut an – vermutlich ist sie genau dafür gemacht (?) Doch so aromatisch sein musikalisches Dessert aus perligen Piano-Läufigen, herben Sprechgesängen und butterweicher Soulcreme auch angerichtet sein mag, es ist ein Mousse au Chocolat: pure black music. Und die bedient – zumal in reiner Form und direkt vom Erzeuger – bei uns seit jeher Nischenmärkte. Doch, hiesige Glasper-Freunde könnte das durchaus freuen, weil ein überschaubares Publikum in überschaubaren Clubs, bestehend aus Liebhabern, Entdeckern und Unvoreingenommenen, eh meist das Beste ist – im Sinne unvergesslicher Konzertabende voller guter Momente.
Gewiss, die Musik des Robert Glasper Experiment ist von der Idee oder der Konstruktion her nicht wirklich neu, sie hat Vorgänger, sie hat Wettbewerber, sie hat Bezüge – so what? Parallelen zum bereits genannten Herbie Hancock, an das Glaspers schneeflockiges Tastenspiel am häufigsten erinnert – ja, klar: vielleicht etwas zugänglicher, vielleicht auch etwas simpler als Hancock. Ähnlichkeiten zu Roy Hargrove, gewiss, bei Hargrove spielte Glasper (unter anderem) mit, vor seiner Solo-Karriere. Die Musik seines mit Casey Benjamin (Saxofon, Vocoder-Gesang), Chris Dave (Schlagzeug) und Derrick Hodge (Bass) besetzten Kollektivs ist dennoch aufregend, weil sie in den Kopf UND in die Beine geht, weil sie Intellekt UND Bauch antriggert: bekanntes Rezept, frisch zubereitet. Das funktioniert als Aufnahme (Black Radio heisst die aktuelle CD), wozu die Gast-Sänger und -Sängerinnen viel beitrugen, wie Erykah Badu, Lalah Hathaway, Musiq Soulchild, Bilal, um nur die bekanntesten zu nennen. Sie sind alle erste Riege, ebenso wie die exquisiten Rapper Mos Def alias Yasiin Bey oder Talib Kweli. Das aufregende der Jazz-HipHop-Soul-Melange funktioniert aber vor allem auf der Bühne:
HipHop war und ist Live immer dann am zwingendsten, wenn richtige Musiker an Bord sind und richtig Musizieren. Dann knallen die Raps nicht trocken und heftig in die Birne, wie ein Glas Schnaps. Stattdessen ist alles zusammen ein vielschichtiger Cocktail, ein spektrales Geschmackserlebnis, mit einer ganz anderen Wirkung.
Jazz hingegen bekommt durch livehaftige Rapper eine wuchtige Erdung, eine Direktheit, eine unmittelbare Publikumszuwendung, die ihm sehr gut tut, sofern es ausgewogen bleibt. Die wechselseitige Dynamik zwischen dem improvisatorisch-romantischen des Jazz und dem herb-muskulösen des HipHop ist ohnehin unwiderstehlich Des wussten schon James Brown oder auch Tower of Power oder Earth Wind Fire oder Prince (speziell in seiner Rainbow Children-Phase) oder sogar Chic, die alle ihre Musik auf Jazz betteten. Man braucht nur genau hinzuhören.
Soul schliesslich ist bei Glaspers Experiment wie die verbindende Soße, die das mehrteilige Gericht abrundet und trägt. Und hierin spiegelt sich meiner Auffassung nach der große Irrtum der meisten Kritiker, die Glasper partout unter Jazz abheften.
Robert Glasper sehen sie ob seiner Jazz-Ausbildung und seines jazzigen Spiels als Jazzmusiker, der nun mit anderen Stilen „experimentiere“. Doch es ist andersherum: „Ich bin das Produkt von Hip-Hop und Soul“, sagt Glasper (in einem Beitrag des NDR). „Es ist kein Zufall, dass bestimmte Musiker auf meinem Album zu hören sind. Ich bin mit Erykah Badu befreundet, ich habe Common Klavierunterricht gegeben, ich bin der musikalische Leiter in den Bands von Mos Def, ich bin Maxwells Pianist. Das ist mein Leben.“ Jazz spiele er auch, könne er, lieber er eben auch.
Für das Robert Glasper Experiment ist nicht der Jazz, sondern Sweet Soul Music die Trägerfrequenz. Denn auf Soul können sich HipHop und Jazz immer einigen. Es sind immer der Soul und seine große Schwester Gospel. Sie sind die Kindheit, die Kirche und die Zuflucht der afroamerikanischen Musik. Insofern ist Glasper’s fesselnde Experiment-Musik überhaupt nicht ganz neu, gleichwohl aber frisch und unverbraucht, weil er, weil seine Musiker sie lieben und leben. So, wie auch jede neue Soulstimme, ob auf Retro oder modern setzend, immer frisch und erneuernd ist, wenn sie wahrhaftig ist, also von tief innen kommt.
Wichtig und erfreulich ist, dass es Robert Glasper gibt und er stattfindet und die Erneuerung lebt und spielt, also musiziert. In den aussergewöhnlich atmosphärischen Studioproduktionen, vor allem aber Live, auf der Bühne. Weil sich dort der Jazz seine Wege bahnen, die Soul-Vibes vibrieren, der HipHop-Funke überspringen darf. Real Music by Real Musicians.
Robert Glasper spielt heute Abend in Berlin, Festsaal Kreuzberg, und danach noch in weiteren deutschen Städten