Unter der Überschrift „Die Ticketpreise schießen in die Höhe“ thematisiert RadioEins das vollkommen überteuerte und schließlich kurzfristig abgesagte Berlin-Konzert von Prince. Im Vortext des am Donnerstag gesendeten Beitrags heisst es: „Wer macht eigentlich die Ticketpreise? radioeins-Musikchef Peter Radszuhn klärt auf.“ Leider klärt das mit sechs Minuten üppige Stück so gut wie gar nichts in der Sache auf – sondern offenbart ein kurzarmiges Verständnis von Musik-Journalismus.
Entschuldigung, Radio Eins und Peter Radszuhn, darf es vielleicht ein bisschen journalistischer sein?! Im ersten Atemzug sinngemäß zu sagen, „ich finde es toll, dass die Prince-Fans diesen Wahnsinn von 330 Euro teuren Tickets nicht mitgemacht haben“, klingt ja gut. Doch danach erfahren wir Hörer, dass der Musikchef persönlich für die Rolling Stones bereitwillig 250 Euro hinblättert, vor etlichen Jahren schon für Tom Waits überzogene DM-Preise bezahlte und auch 550 Euro für ein Barbara Streisand-Konzert in der Berliner Waldbühne letztlich für vertretbar hält, weil die US-Diva zum allerersten mal überhaupt in Deutschland auftrat, weshalb sich Nachfrage und Preise verständlicherweise überhitzen. Aber das sei nun mal so, sagt Peter Radszuhn, „der Markt reguliert das.“
Das war also die versprochene Aufklärung darüber, wer die Ticketpreise macht: Der Markt. Aha, sehr aufschlussreich. Am Ende gibt Radszuhn noch den Hinweis, dass Prince und die Künstler durchaus die Preise deckeln können – was aber weder eine neue noch überraschende Erkenntnis ist. Vor allem bleibt die Frage offen, warum beim geplatzten Berliner Prince-Konzert genau das nicht geschehen ist, und wer welche Verantwortung trägt.
Mehr Distanz zum Gegenstand „Musikwirtschaft“ ist von einem leitenden Redakteur durchaus zu erwarten
Gut, vielleicht muss der Musikchef eines solchen „Vollprogramm“-Senders nicht zwangsläufig „Journalist“ sein, etwa im Sinne investigativer Reportagen. Doch mehr Recherche und vor allem mehr Distanz zum Gegenstand, hier, zur Musikwirtschaft, ist von einem leitenden Redakteur einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung durchaus zu erwarten. Musikjournalismus sollte sich nicht in kenntnisreichen Rezensionen und Interviews zur Musik erschöpfen, er muss sich genau so gründlich mit dem Markt und den (rechtlichen) Rahmenbedigungen des Musikbusiness beschäftigen.
Im Fall des Prince-Konzerts stinkt es doch sehr deutlich nach „Wucher“, und der ist eine wettbewerbs-rechtliche Frage, der man nachgehen kann. Radszuhn sagt aber im Beitrag lediglich, dass sich der Veranstalter des missglückten Prince-Konzerts, eine Kölner Agentur, sich nicht äußern würde*, also könne man nur spekulieren. Ja, Danke, spekulieren kann ich aber auch alleine.
Wer „eigentlich“ die Ticket-Preise macht, auf diese von Radio Eins immerhin selbst formulierte Frage gibt der Beitrag keine richtige, zumindest keine journalistisch erschöpfende Antwort. Wie schade. Immerhin ist Radio Eins mit rund 117.000 Hörern pro Durchschnittsstunde ein beliebter Sender in Berlin-Brandenburg (Nummer sechs in der Region laut Media Analyse 2013). Ein angesehener Sender, der zudem eine – sogar bundesweit gesehen – ungewöhnliche Vielfalt und Tiefe in Sachen Rock- und Pop-Musik hegt und pflegt und sehr viel auf sein ausgeprägtes Musikverständnis hält.
Als Promotion-Partner mischt der öffentlich-rechtliche Sender mit im Musikbusiness
Mehr noch: Als Promotion-Partner zahlreicher Rock- und Pop-Konzerte mischt der öffentlich-rechtliche Sender seit Jahren kräftig mit im Musikbusiness. Mit Konzertankündgiungs-Jingles sorgt er für hochwirksame On-Air- und Online-Promotion, ist also unmittelbar in die Musikwirtschaft involviert. Aus diesem Umstand soll hier keine anrührige Verbandelung mit einem Wirtschaftszweig konstruiert werden. Und auch Spekulation darüber, ob die Loyalität eines Promotion-Partners gegenüber den – meist in Freitickets zahlenden – Veranstaltern zu Selbstzensur führt, ist nicht die Intention dieser Kritik hier. Doch die Frage ist, ob die Arme des Radio-Eins-Musikjournalismus wirklich so kurz sein sollten?
Mit Ihrem lapidaren bis entlarvenden Radio-Geplauder, lieber Peter Radszuhn, liebes Radio Eins, bringen Sie weder den Erkenntnisstand zum Thema „Ticketpreise“ voran, noch erweisen Sie dem Musikjournalismus als solchen einen Gefallen – zumindest einem Musikjournalismus, der ernst genommen werden will. Im Gegenteil.
Wenn ein gestandener Musikredakteur kein Bemühen erkennen lässt, in der Sache ernsthaft recherchieren zu wollen sondern sich stattdessen lieber als Fan outet, der im Zweifel den Ticket-Wucher-Wahnsinn mitmacht – und ihn damit vorantreiben hilft – dann ist das nicht gut. Es könnte nämlich aufzeigen, dass der Musikjournalismus sich dort befindet – oder auf dem Weg dorthin ist – wohin es unter anderem der Reise- und Auto-Journalismus schon gebracht haben: Im tiefen, finsteren Tal der beschädigten Reputation.
Hinweis: Der genannte Radiobeitrag ist laut RadioEins noch bis 12.6. online nachzuhörenn und kann (bis dahin) als mp3-Datei herunter geladen werden.
*Update: Auf stern.de stellt sich der betreffende Konzert-Veranstalter Dirk Becker den Fragen zu den Prince-Konzert-Preisen – und demaskiert sich ordentlich, wenn er sagt: „Ganz ehrlich, ich finde auch, dass es ist ein stolzer Ticketpreis ist. Aber ich fand ihn angemessen dafür, diesen Künstler in einem verhältnismäßig kleinen Club erleben zu können. Ich habe mich geirrt.“ Hallo, Herr Becker, Hallo: Das Berliner Tempodrom ist eine Halle für etwa 3.500 bis 4.000 Zuschauer, da kann von einem Clubkonzert doch nicht im geringsten die Rede sein. Und dass Prince in Brüssel in einem Club für 400 Leute spielte, in London in kleineren Hallen, und die Tickets jeweils unter 100 Euro kosteten erwähnt Becker auch nicht – es würde ja wohl seine These widerlegen, wonach er als Veranstalter kaum Einfluss auf diese „stolzen“ Preishöhen hätte. Ja, er hat sich geirrt, sogar gewaltig und vermutlich auch in manch anderer Hinsicht.