Wir finden die erschwingliche Echtheits-Prüfung von Content durch „Öffentlich bestellte Medien-Beglaubiger“ (ÖbMB) ja gut – wenn denn die Richtigen daran arbeiten
Also, an sich lässt sich das ganz einfach online regeln mit dieser öffentlich-amtlichen Beglaubigung von Medien-Inhalten. Jedenfalls, wenn man erst einmal akkreditiert ist. Doch für diese Erstanmeldung muss man nun mal persönlich beim entsprechenden Landesmedienamt (LAMA) erscheinen, sich ausweisen und „identifizieren“, seine Publikationen, Plattformen oder Portale registrieren und zertifizieren lassen. Das hatten wir uns als Media-Startup natürlich fest vorgenommen, aber es gab so viel zu regeln, da bin ich eben erst jetzt dazu gekommen. Kein Problem, der Service-Desk des LAMA liegt zentral, hat 24/7-Öffnungszeiten und so wollte ich die Akkreditierung in einem Rutsch mit der ersten Beglaubigung vornehmen und hatte alles dabei. Und ich hatte es eilig.
Akkreditierung und Zertifizierung gingen erstaunlich rasch, dank verständlicher Software und sachkundigem Personal. Gefällt mir. Sogleich eilte ich zur Beglaubigungsstelle und durfte nach etwa zehn Warteminuten zum Platz 286. „Haben Sie einen Wartecode?“ fragte der Sachbearbeiter. Ich zeigte mein Handy, darauf meine digitale Wartemarke als QR-Code, der meine Wartenummer, unsere nagelneuen Stammdaten beim LAMA, das zugehörige Zertifkat und mein Anliegen in Stichwortform enthielt. Er scannte den Code ein und blickte auf seinen Monitor. Ich sah mir seinen Sachbearbeitsplatz an.
Über die Schilder mit den altmodischen Beamten-Sprüchen musste ich schmunzeln: „Eile mit Weile“, „Hetz‘ mich nicht“ und so. Naja, schön. Daneben Pflanzen, so‘n Kugel-Klacker-Dingsbums, etwas versteckt ein Mikrofasertuch, penibel gefaltet. Überhaupt – irgendwie sah alles sehr aufgeräumt aus. Ich dachte, ‘hier hat offensichtlich jemand Zeit, sich nicht nur seiner Arbeit zu widmen, sondern auch seinen Arbeitsbedingungen‘, als er trübe aufblickte.
„OK, Sie wollen also diesen Multimedia-Artikel mit rund 8.000 Zeichen und 17 integrierten Zitaten, audiovisuellen Inhalten und Verweisen, prüfen und beglaubigen lassen: Verifizierung aller verwendeten Quellen, wie Videos, Fotos, Twitter- und Facebook-Einträge, auf Plausibilität, Authentizität, Echtheit und Unverfälschtheit?“ Ich musterte ihn und merkte, dass er genau so pedantisch rüberkam, wie sein Arbeitsplatz aussah. „Ja, ganz genau“, sagte ich betont sachlich, dachte aber, ‘Mann, für diese Prüfungen seid ihr doch da, ihr ‘Öffentlich bestellten Medien-Beglaubiger‘, also komm‘ in die Hufe, Alter!‘
Die Einrichtung der ‘Öffentlich bestellten Medien-Beglaubiger‘, kurz ÖbMB, ging zurück auf eine Initiative der grün-orange-weissen Bündnisse von Grünen, Piraten und Parteilosen in sechs Bundesländern („Indien-Koalition“). Die ÖbMB sollten kleinen, unabhängigen und wirtschaftlich schwachen Medienproduzenten zur Verfügung stehen, damit diese beim Wettbewerbsfaktor „Glaubwürdigkeit“ nicht weiter ins Hintertreffen geraten. Ins Hintertreffen gegenüber den großen Medienkonzernen, die sich eine ausgefeilte und kostenintensive Echtheitsprüfung von (digitalen) Quellen leisten können. Entweder beschäftigen sie selbst die besten ND‘s (Netz-Detektive), Code-Gutachter und Algorithmusmatiker oder sie wenden sich an Dienstleister mit profilierten Watchbloggern, Hackern und Nachrichtendienstlern. Alles Vollprofis, die schnell, präzise und international vernetzt arbeiten, um Manipulationen an den Urdaten von Twitter- und Facebookposts, Fotos und Videos, Blogs und Artikeln aufzudecken und die Quellen zu „verechten“, wie es im Fachjargon heisst.
Die professionellen CyberVerifier sind allerdings – genau wie die entsprechenden Premium-Digi-Task-Force-Services der großen Nachrichtenagenturen – utopisch teuer. Diese Markt-Entwicklung grenzte selbst mittelständische Medienunternehmen aus. Gleichzeitig wuchs in der Bevölkerung das Misstrauen gegenüber Medieninhalten. Erst gab es Debatten um die amateurhaft wirkende Quellenangabe „Internet“ für Videos und Fotos, etwa aus dem Ausland. Später kamen Skandale um geschickt in Darstellung und Code manipulierte, über mehrere Beteiligte gesteuerte und daher nach üblicher Prüfung als authentisch durchgegangene Fotos, Videos und Twitter-Tagebücher dazu. Die Glaubwürdigkeit der Medien stürzte ins bodenlose. Doch sollte man die nötige, professionelle „Verechtung“ allein dem mächtigen Medien-Industriellen-Komplex überlassen, der mit seinen wichtigen, aber klein-auflagigen Leit-Titeln immer mehr eine Luxus-Klasse aber immer weniger die breite Medien-Masse adressierte?
Bei der Gründung von Landesmedienämtern und Medien-Beglaubigern orientierte man sich an behördlichen Vorbildern, wie etwa den öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren, die unter anderem für Grenzziehungen und Grundstücksteilungen zuständig sind. Man kann ja nicht einfach irgendwo eine Linie in den Sand kratzen und sie als Grenze definieren, da muss amtlich geprüft und beglaubigt werden. Ähnlich wie bei Erbschaften, die eines vereidigten Notars bedürfen. Es gibt auch öffentlich bestellte Sachverständige, Steuerberater und Versteigerer. Die öffentlich bestellten Medienbeglaubiger prüfen, verifizieren und zertifizieren Medieninhalte. Und das offen und erschwinglich für jeden, der mit Inhalten geschäftlich aktiv sein will. Mittlerweile sind Medien-Inhalte ohne amtliches Zertifikat und öffentlich einsehbare Prüfcodes der ÖbMBs quasi nicht verkäuflich. Weder an Stiftungen noch Mäzene, weder bei Flatterern noch bei Wertmarkentauschern, selbst bei Anzeigenkunden nicht.
„Das ist ja ‘ne ganze Menge“, sagt der Sachbearbeiter gedehnt, „das kostet aber …“
„… ähem, ich dachte, als akkreditierter Kleinmedienanbieter bekommt man Beglaubigungen mit diesem Volumen zum Einheitstarif …
„ … Zeit“, sagte er. „Sie haben mich unterbrochen. Ich wollte nur sagen, dass ihr Anliegen Zeit kostet.“
„Ach, so, verstehe. Ich zahle gerne den Express-Aufschlag.“
„Ja, und?“
„Na, dann muss es doch schneller gehen.“
„Ja, gewiss, bis morgen 15 Uhr. Das sind ab jetzt 24 Stunden, das ist Express, das ist versprochen, das halten wir.“
„Aber ich will das Ganze um spätestens 9 Uhr online stellen, um 10 Uhr beginnt nämlich die Konferenz, wissen Sie, und wir wollen alle Teilnehmer erreichen … “
„ … Konferenz, soso“, sagte er bedächtig, drehte sich gemächlich zum Monitor und las in den Kurzbeschreibungen zu unserem Artikel. Ich musterte ihn und sah an seiner Weste den Button mit der grünen Schnecke. Oh Nein, der ist einer von diesen ‘Mach‘ mal langsam‘-Spinnern. In wenigen Jahren hatten sich die internationalen Slow Food– und Slow Travel-Bewegungen mit Slow Sports (Tai Chi, Pilates usw.) und Slow Speak (Schweiz) verbündet, dann stiessen auch die Slow Media-Anhänger dazu, in Deutschland gründete sich der „Slow Motion e.V.“ Gleich dessen erste Kampagne schlug ein wie ein riesiger Watteball, Slogan: „Entschleunigung ist eine Waffe!“. Erkennungszeichen: Die grüne Schnecke mit der geballten Faust und dem Smiley auf den Fühlern.
„Sie sind Slow Mover??“ fragte ich ihn entgeistert.
„Jau. Was dagegen?“
„Wie kommt ein Slow Mover ausgerechnet in die Medien-Verechtung? Hier geht‘s um Tempo … “
„Eben drum!“ herrschte er mich an und wurde laut. „Pluralismus!“ Er dozierte triumphierend: „Bei der Gründung der Landesmedienämter wurde beschlossen, dass sie mit Vertretern unterschiedlicher Gruppen zu besetzen sind: Gewerkschaften und Berufsverbände, Juristen und Notare, Verwaltungs- und Behörden-Beamte, Parteien und gesellschaftliche Gruppen. Und die Slow Mover gehören nun mal zu den derzeit größten freien Gruppen. Man musste uns also berücksichtigen.“ Er lächelte zufrieden, wenngleich sehr langsam in sich hinein.
Na, ganz toll, dachte ich, und nun sitzt mir offenbar der Landesvorsitzende dieser Zeitlupen-Truppe gegenüber. „Gibt es denn keine Chance, dass es früher fertig wird?“
„Meine Schicht geht bis 3 Uhr morgens. Wenn nicht viel los ist, schafft es das Team vielleicht bin dahin. Sie können gerne hier bleiben, nebenan ist ein Warteraum mit WLAN, Teemaschine und Yoga-Matte. Ich habe jetzt erstmal meine reguläre 10 Minuten-Pause. Noch Fragen?“
Nein. Keine Fragen.
Von meinem Mobilgerät gesendet um 17 Uhr mitteleuropäische Teezeit.
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