Bei der Klage von Bettina Wulff gegen Google geht es um die Ehre – allerdings für beide. Der Webkonzern muss womöglich den „Ruf“ seiner Suchergebnisse verteidigen
Mit einer Klage vor dem Landgericht Hamburg will Bettina Wulff, Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, den Suchmaschinenbetreiber Google zu einer Unterlassung zwingen: es sollen bei Anfragen via Google keine Suchwortvervollständigungen ihres Namens mit bestimmten Begriffen und Wörtern mehr erfolgen, die laut Süddeutscher Zeitung komplett auf Gerüchten basieren.
Wohlgemerkt, mit dieser Klage rückt Frau Wullf nicht jene ins juristische Visier, die die Gerüchte erfinden und in die Welt setzen, also die Urheber einer Verleumdung. Vielmehr trifft es in diesem Fall den Hinweisgeber zu den (Weiter-)Verbreitern dieser Gerüchte. Neben Google erhob Wullf auch eine Klage gegen den Fernsehmoderator Günter Jauch, der bereits im Dezember vergangenen Jahres diesen Gerüchten Aufmerksamkeit verschaffte, in Form einer diesbezüglichen Frage an Frau Wulff. Jauch hat bereits öffentlich eingelenkt, auch wenn er meinte, mit dem Zitieren eines Artikels aus der Berliner Zeitung nicht wirklich zur Aufschaukelung substanzlosen Geredes beigetragen zu haben. Hat er, wie sich jetzt zeigt, eben doch. So unbefriedigend die Begründung seines Zugeständnisses auch sein mag – TV-Kollege Chrisoph Lütgert etwa meint, für Jauch sei es ein Eigentor – zumindest hat Jauch reagiert und entschieden: als professioneller Journalist, als öffentlicher Mensch und als TV-Gigant. Er hat Rollenbewusstsein,Instinkt und Moral gezeigt, wie auch immer man diese letztlich bewerten mag. Der Internet-Gigant Google hingegen reagierte auf die Klage und die Berichte und Diskussionen (bisher), wie gewohnt: gar nicht. Wird er aber (müssen), um sein Rollenbewusstsein deutlich zu machen. Inwieweit Google dabei tatsächlich zur Disposition stellt, ob ein bloßer „Auskunftgeber“ in Asunahmefällen, etwa bei, sagen wir mal „bedenklichen“ Auskünften, so etwas wie journalistische Ethik oder Moral zu beweisen hat, ist die eine spannende Frage. Doch in der vordersten von mehreren denkbaren Diskussionsfrontlinien dürfte für das Unternehmen Google der „gute Ruf“ seiner Auskünfte stehen: also die Güte und Vertrauenswürdigkeit der „Treffer“. Denn hauptsächlich davon hängt die Nutzungshäufigkeit der seit Jahren marktbeherrschenden Suchmaschine ab und davon wiederum die Anzeigenerlöse, die das alles andere tragende Fundament des Unternehmens sind.
Gewiss: Es geht in diesem Fall zunächst um Googles Umgang mit den Such-Anfragen, nicht um den mit den Such-Ergebnissen, auch wenn letztere bei ersteren durchaus eine Rolle spielen, dazu gleich mehr. Und von den Ergebnis-Listen, den „Rankings“ zu Google-Suchanfragen ist ja bekannt, dass sie eben nicht hehre statistische oder gar wissenschaftliche Wahrhaftigkeiten repräsentieren, sondern eine komplexe Mischung sind: aus bezahltem Trefferplatz, Besuchs-, Aufenthalts- und Such-Verhalten der Internetnutzer, Verlinkungs- und Zitierhäufigkeiten und weiteren Bewertungen, welche Google für sinnvoll hält. Worum es bei der Wulff-Klage aber vor allem geht, ist die durch Google automatisierte Vervollständigung der Suchanfrage selbst, auf englisch auto-complete. Hierbei bietet Google im Suchfeld schon nach Eintippen eines Buchstabens beziehungsweise Wortes mögliche Such-Begriffe oder eben Begriffs-Kombinationen an. Bespielsweise erschien als Vorschlag „Olympiade London“ schon bei Eintippen von „Ol“ oder „Oly“. Solche Vorschläge generiert Google ebenfalls aus einer Mixtur von Parametern: Die bisherigen Suchbegriffe des einzelnen Nutzersebenso wie die gerade „aktuellen“, also häufig eingegebenen Suchbegriffe aller Google-Nutzer; aber auch generell populäre Treffer, sprich beliebte Webseiten, die zu der vermeintlichen, vermutlichen Suchanfrage passen können – oder auch passen sollen: weil dahinter gewisse (zahlende) Anbieter stehen. Und das ist vermutlich nicht alles.
Wie genau Googles „auto-complete“ funktioniert, was genau die zuständigen Algorithmen enthalten, das behält Google für sich. Klar hingegen ist: Zum einen filtern jegliche Algorithmen immer nur und immer genau so, wie es ihre Programmierer ihnen vorgeben: in jedem „auto-complete“ steckt also immer auch menschliche Intention, also pure Absicht. Zum anderen legen Google-Mitarbeiter händisch und ebenso intendiert Hand an die auto-complete-Mechanismen an. Darauf weist Marcus Schwarze von der Rhein-Zeitung hin: „Google erlaubt beileibe nicht alle automatischen Vervollständigungen. Google filtert nach subjektiven Kriterien … Das erklärt das US-Unternehmen auf seiner eigenen Seite.“ Tatsächlich finden sich bei Google, sogar auf Deutsch, so etwas wie Beschreibungen und Richtlinien für die „Automatische Vervollständigung“. Hierauf geht auch der auf Internet-Recht fokussierte Jurist Henning-Ernst Müller im Beck-Blog ein „Wenn sich also die Google-Anwälte darauf berufen, das Autocomplete gebe eben nur die häufige Suche nach bestimmten Wortkombinationen objektiv wieder, dann argumentieren sie glatt an der Wahrheit vorbei. Redaktionelle Eingriffe finden statt, Google nimmt Einfluss.“
Im Klartext: Irgendwo und irgendwie ist (also doch) ein Mensch oder ein Stab von Menschen bei Google damit beschäftigt, die Such-„Vervollständigungen“ zu bewerten, zu editieren, zu beeinflussen. Interessant und eine gute Frage dabei ist, woher die Impulse kommen, die durch den Dschungel der intendierten Algorithmen hindurch für eine solche menschliche Aufmerksamkeit sorgen: Sind es ungewöhnliche Ausschläge in (internen) statistischen Erfassungen, Protokollen, Analysen? Oder sind es „Storms“ in Social Media Communities? Lösen Berichte in „etablierten“ Medien einen Alarm aus? Oder erst (hoch gewichtete) gerichtsanhängige Klagen? Vielleicht schlägt sogar ein lebens- und/oder berufserfahrenerInstinkt an? (Der letzten Bastion der Natur gegenüber den Algorithmen, nicht wahr HAL?) Wie dem sei: Ob nun agierend oder nur -re-agierend, wirkungsvoll handeln kann eine Google-interne, hier zunächst mal vermutete auto-complete Task Force nur mittels gewisser inhaltlicher Leitlinien, Vorgaben. Und da ist die spannende Frage, wer diese definiert – und auf welche Moral- oder Ethik-Grundsätze dabei aufgebaut wird. Wie sehr als „Medium“ diese task force sich oder Google womöglich sieht? (Einschliessliche presserechtlicher und/oder genre-ethischer Relevanz).
Für den Journalisten Wolfgang Michal, Mitherausgeber der Mediendiskursplattform CARTA, bewege sich Google mit Diensten wie auto-complete weiter in eine publizistische Position hinein, und müsse sich, wenn auch erst auf juristischen Druck hin, zu den damit verbundenen Verantwortungen bekennen: „Das Recht zwingt die „neutralen“ Plattformen dazu, redaktionelle und verlegerische Aufgaben wahrzunehmen, also auszuwählen, zu filtern, zu ordnen, zu hierarchisieren und zu bewerten. Manche nennen das Zensur, andere sehen darin die Notwendigkeit zur Verantwortung. Die Grenzen sind hier fließend und werden noch zu vielen weiteren Konflikten führen.“ Juristen, wie der auf „Internet-Law“ bloggende Anwalt Thomas Stadler, sehen in Suchmaschinen Vermittler eines neuen Typus, für die sich spezielle Rechtsfragen ganz neu stellen – und ebenso gesondert zu beantworten sind: „Es geht hier also ganz grundlegend um die Frage der Aufrechterhaltung nützlicher und hilfreicher Suchmaschinenfunktionen. Letztlich diskutiert man also nur wieder die in wechselndem Gewand regelmäßig wiederkehrende Frage, inwieweit man Intermediäre für rechtswidrige Inhalte Dritter in Haftung nehmen kann.“
Aus der Perspektive von Google könnte sich die Wulff-Klage zu einer sprichwörtlichen Gretchenfrage entwickeln. Sollte im Verlaufe von Klage, möglichem Prozess und den daran geknüpften Diskussionen die Skepsis gegenüber den auto-complete-Vorschlägen und damit -Auskünften von Google erhöhen, könnte das fatale Folgen haben. Entstünde langsam aber sicher in breiten Internet-Nutzer-Kreisen der Eindruck, dass Google aus geschäftlichen Gründen auch systematisch eher zweifelhaften, anrüchigen oder hahnebüchenen Mutmaßungen und letztlich deren Urhebern Raum gibt – durch so etwas wie automatisierter Beihilfe zur Popularisierung – dann wäre das auch Gift für den (noch guten) Ruf der Such-Ergebnisse. Diese sind und bleiben das wichtigste Gut das Internetkonzerns. Misstrauen gegenüber den Rankings könnte, nein, würde dem Anzeigengeschäft gewiss schaden. Es geht also bei der Causa Bettina Wulff auch um die Ehre von Google.
Die Frage dabei ist, ob Suchmaschinentechnologien so etwas wieInstinkt haben können oder gar sollen, und wie diese dann implentiert, instruiert und dirigiert werden können. Doch zunächst einmal sollte Google selbst Instinkt beweisen, und klar oder klärend Position beziehen.