England, glorious England.
Annäherung an eigenwillige Verwandte.
Holger Ehling. Verlag Ch. Links, Berlin 2009, 224 S., 16,90 €
Ein Buch über England? Gibt‘s da nicht schon genug, ist über die Insulaner nicht schon alles geschrieben, gesagt, ausgebreitet? Diese Fragen stellt Holger Ehling sich oder den Lesern erst gar nicht, er schreibt einfach drauf los. Sein „Annäherungsversuch“ ist purer Mitteilungsdrang. Statt angestrengter Bemühungen, das Buch mit einem „gibt-es-in-der-Art-noch-nicht“-Ansatz zu überbauen, hakt sich der Autor im übertragenen Sinne ungefragt im Arm unter, um mich, den Leser, direkt mitzunehmen auf einen kurzweiligen Abend voller lesenswerter Beobachtungen, Betrachtungen und Bemerkungen.
Ehling widmet sich durchaus, und auch genüsslich, so manchen Klischees unserer Sicht auf England und die Engländer. Deren permanente Höflichkeit, ihre Unerschütterlichkeit („stiff upper lip“) und ihr berühmt-berüchtigter britische Humor, nicht zuletzt das Verhältnis der Engländer zur Monarchie (und deren Protagonisten), zum Beispiel. Ernst gemeint, aber augenzwinkernd ist dabei sein Blick, respektvoll und zugleich verschmitzt sein Tonfall. Aber ihm geht es – ein Glück – keineswegs darum, sich an Klischees abzuarbeiten, das wär‘ wohl auch zu langweilig. Statt gewollt gründlich schlendert er lieber locker, assoziativ und mit dem Mut zur Halbfertigkeit über seine Ansätze, wie „Der Engländer privat“, „Der Engländer und seine Welt“ und „Der Engländer und seine Freuden“, schweift dabei gerne auch mal ab, erspart sich und dem Leser aber eine unbedingte Vertiefung jedes Themas.
Ehling ist Journalist, aber hier reportiert er nicht, er analysiert nicht, er „befundet“ nicht – er plaudert. Und das sehr gekonnt. Man spürt förmlich den Spaß des professionellen Chronisten – Ehling arbeitete über mehrere Jahre als England-Korrespondent – mit gelöster Zunge drauf los zu erzählen. Sich über das Volk der Engländer zu amüsieren, auch ein bisschen zu lästern, aber stets mit selbstironischem Glucksen und – very british – immer fair. Wer ihn mal kennen gelernt hat – Ehling war viele Jahre in der Presseabteilung der Frankfurter Buchmesse tätig und daher mit vielen Kultur- und Medien-Journalisten in Kontakt – der weiss um seine lakonische Art und seine angenehm distanzierte Haltung gegenüber Institutionen und vermeintlichen Gewissheiten.
Von dieser sympatischen Haltung lebt das ganze Buch, auf dessen „gepflegte und kompetente Plauderei“ man sich nur einlassen muss, um „very amused“ zu sein. Für meinen Geschmack ist zwar das mittlere Drittel über die Geschichte Englands etwas sehr lang. Obgleich für das Verständnis des heutigen Englands wichtig, und mitunter auch überraschend, musste ich mich durch den Part voller Könige und Königinnen, Eroberungen und Selbstfiundungen eher durcharbeiten. Gleichwohl bleibt Ehling auch in diesen Abschnitten sehr unterhaltsam; mit seiner Art, sich durch die Jahrhunderte zu grinsen, wäre er bestimmt einer der beliebteren Geschichtslehrer in der Schule, man kann ihm auch hierbei ganz gerne zuhören.
Wer einen Textmarker bereit hält, kann sich den einen oder anderen wertvollen Tipp anstreichen. Die streut der offenbar halb, nein, bestimmt ganz England bereiste Autor hier und da beiläufig ein, etwa zu sehenswerten Museen, Städtchen oder Kirchen. Für mich als Freund der U-Musik etwas enttäuschend fand ich die Kürze, mit der Ehling Pop und Rock, Jugend- und Subkulturen abhandelt. Nicht, dass ich eine fundierte Abfassung eines halben Jahrhunderts Beat und Punk, Mods und Ska erwartet hätte. Hier überlässt Ehling bewusst anderen die Bühne. Doch sein so herrlich ironisch-amüsierter Blick auf die Befindlichkeiten und Selbstverständnisse der Engländer hätte von mir aus einige Seiten länger auf der Popmusik und ihren vielen Schrullen verweilen können. Nicht nur weil die Inselbewohner vom massentauglichem Pop wirklich sehr viel verstehen, sondern auch weil unsere Wahrnehmung der Engländer – mit all ihren Eigenheiten, Stärken und Marotten – doch sehr stark über die omnipräsente Popkultur erfolgt, über Songs und Texte, über Bands und „Brands“ (Marken), über deren Erfolg und deren Einfluss.
Ähnliches gilt für einzelne englische TV-Serien und -Figuren, von Mr. Bean bis zu Monthy Pythons. Letztere allerdings lässt Ehling, wie weitere seiner Lieblingsserien, etwa „Yes, Minister“, als eine Art roter Faden immer wieder „durchs Bild“ laufen, gibt an passenden Stellen einzelne, köstliche Szenen und Bonmots zum Besten. Very funny. Weit ausführlicher widmet sich der Buchmesse-Profi Ehling dem Literatur-Betrieb der Engländer (der nun wiederum mich nicht so beschäftigt). Für die Schriftstellerei bringt er berufsbedingte Expertise und ein größeres Interesse als für (Pop-)Musik mit, bewegt sich auf Augenhöhe und urteilt scharf; es sei ihm gegönnt.
„England, glorious England“ ist gewiss ein weiteres England-Buch, aber es scheint für jemanden wie mich gut geeignet. Mit meinen wenigen eigenen Eindrücken aus etwa fünf kurzen England-(fast-nur-London-)Besuchen in rund 30 Jahren und einer Abneigung gegen lexikalisch-touristische „Reiseführer“ las ich Ehlings kundige und amüsante Plaudereien über das Land und seine Bewohner stets beschwingt und mit großem Gewinn. Mein Blick auf die wahrlich „eigenwilligen Verwandten“ ist jetzt ein etwas anderer: noch amüsierter, aber noch verständnisvoller.