Kathrin Röggla: Teilhabe ja, Freibier nein!

Die Akademie der Künste gehört zu den ältesten europäischen Kulturinstituten. Beim Thema Urheberrecht und Digitalisierung plädiert die Vizepräsidentin Kathrin Röggla für eine Bewusstseinsänderung – in der Öffentlichkeit und in der Politik. Dieses Interview entstand für das Magazin „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik, Ausgabe 2015/16“, veröffentlicht unter CC BY-ND.

Foto: Marcus Lieberenz / bildbuehne.de
Foto: Marcus Lieberenz / bildbuehne.de

iRights: Das Internet ist nun mehr als 20 Jahre alt, bestimmte Spielarten interaktiver und netzbasierter Kunst haben sich zu eigenen Genres entwickelt. Wie schlägt sich das in der Akademie der Künste nieder?

Kathrin Röggla: Alle Mitglieder der Akademie nutzen diese Medien, soweit das ihrer Arbeit förderlich ist. Jenseits davon arbeiten einige Mitglieder mit neueren Medien, Installationen oder explizit an der Schwelle zwischen Analogem und Digitalem, beziehungsweise Post-Digitalem. Da wären Tacita Dean, Miroslaw Balka, Wolfgang Tillmans, Karin Sander, Ayse Erkmen oder Ai Weiwei zu nennen.

Originäre Netzkunst oder ausschließlich netzbasiert arbeitende Künstler gibt es – bis auf Ai Weiwei – aber praktisch nicht. Allerdings setzt sich in der Film- und Mediensektion Siegfried Zielinski seit vielen Jahren mit Multimedia auseinander.

Die Akademie organisiert zahlreiche Kunstereignisse, Ausstellungen und Veranstaltungen. Inwieweit spielen Netzkunst und interaktive Kunstformen hier eine Rolle?

Soweit erforderlich, befassen wir uns immer wieder mit dieser Entwicklung. So zum Beispiel im Projekt „Schwindel der Wirklichkeit“. In dieser Ausstellung waren Julian Oliver, Danja Vasiliev und das Paidia Institute vertreten. Dabei ging es um Games, also um die Computerspiele-Kultur. Die Ausstellung thematisierte nicht nur Telekommunikationsnetze, soziale Netzwerke und das Urheberrecht, sondern auch die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten – ein wichtiges Thema.

Sehen Sie, dass die Bedeutung der Netzkunst zunimmt, sodass womöglich eine neue Sektion für interaktive und netzbasierte Künste einzurichten wäre?

Die Akademie der Künste arbeitet interdisziplinär. Warum sollte sie für jede neue Technik eine neue Sektion einrichten? Das ist nicht notwendig.

Die Künste gehören zum kulturellen Erbe eines Landes. lm Zuge der Digitalisierung wächst die Nachfrage bei den Kultureinrichtungen, den Zugang zu diesem Erbe auch online zu ermöglichen. Doch oft fehlen die Mittel und die Rechtsgrundlagen, diesem Bedürfnis gerecht zu werden. Welche Haltung hat die Akademie dazu?

Die Akademie ist an allen Formen der Kunstvermittlung interessiert. Ein wesentlicher Anteil ihrer Programm- und Ausstellungstätigkeit verfolgt dieses Ziel. Die öffentliche Hand als Trägerin der meisten Einrichtungen der Kultur- und Wissensvermittlung ist nicht nur aufgefordert, sondern dazu verpflichtet, den Bürgern die Nutzung neuer Informationstechnologien und Kulturtechniken in ihren Einrichtungen zu ermöglichen. Sie muss daher die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen, was aber leider nicht in ausreichendem Maße passiert. Es ist daher höchste Zeit, dass hier eine entscheidende Bewusstseinsänderung eintritt und mehr Verständnis für die Erhöhung der Mittel geweckt wird.

Die Mittel sind das Eine. Im Herbst des Jahres wandte sich ein breites Bündnis von Bibliotheken, Archiven, Museen und Kultureinrichtungen mit der Hamburger Note an die Öffentlichkeit. Im Kern fordert sie darin, das Urheberrecht zu flexibilisieren.

Einerseits ist es bedauerlich, dass solche Aufrufe erforderlich sind, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und den Staat in die Pflicht zu nehmen. Andererseits müssen hierbei auch die Interessen der Urheber gesehen werden. Aber wir halten es für wichtig, den öffentlichen Zugang zu den Werken – nicht deren kommerzielle Auswertung – sowie deren digitale Inventarisierung durch stabile urheberrechtliche Lösungen zu ermöglichen. Nur so können die Archive ihrem Auftrag nachkommen. Auch deswegen ist die Hamburger Erklärung ein wichtiger Impuls.

Muss das Urheberrecht reformiert werden?

Die Akademie der Künste schätzt und verteidigt das Urheberrecht als wichtige Existenzgrundlage der Urheber und Künstler auch und erst recht im Digitalzeitalter. Sie verfolgt und unterstützt die Reformdebatte in Deutschland und Europa, zum Beispiel durch die Konferenz „Die Zukunft des Urheberrechts“, die im Dezember dieses Jahres in unseren Räumen stattfand.
Vollkommen klar ist auch, dass jede Anpassung dieses Rechts an neue technische Entwicklungen die Position der Kreativen wahren muss. Sie müssen auch in Zukunft für jede Nutzung ihrer Werke angemessen vergütet werden – selbstverständlich auch für die Nutzung durch Bildungseinrichtungen oder eben durch die angesprochenen Gedächtnisinstitutionen.

Die im Urheberrechtsgesetz verankerte angemessene Vergütung wird häufig nicht geleistet. Doch sich dagegen zu wehren, fällt den Betroffenen oft schwer. Nun will die Bundesregierung das Gesetz erneuern, etwa durch Einführung eines Verbandsklagerechts oder eines festgeschriebenen Rückrufrechts. Hat die Akademie zu diesem Entwurf eine Position?

Die Mitglieder der Akademie und die Institution setzen sich dafür ein, dass in der Kulturwirtschaft Vertragsbedingungen bestehen oder geschaffen werden, mit denen Urheber und Verleger, Filmproduzenten und Sender auf Augenhöhe zusammenarbeiten können. Deshalb begrüßen wir es, dass die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag ihre Absicht erklärt hat, die Situation im Urhebervertragsrecht zu verbessern und nun diese Verpflichtung umsetzen will. Die Akademie verfolgt die Entwicklung des Urheberrechts und den aktuellen Gesetzgebungsprozess und wird sich in der erforderlichen Form äußern. Sie bringt ihre Position ja im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit gegenüber der Bundesregierung ein, ohne dabei die Interessen der Öffentlichkeit aus den Augen zu verlieren.

Diese Öffentlichkeit nimmt ja recht schnell neue Kulturnutzungstechniken an. Das Urheberrecht wird dabei immer mehr als ein Verbots- und Spaßverderberrecht wahrgenommen, das letztlich den Künstlern mehr schadet als nützt.

Die Akademie ist nicht der Meinung, dass das Urheberrecht die Entfaltung neuer Techniken behindert. Es scheint uns vielmehr so, dass gerade die großen Internetkonzerne wenig Interesse daran haben, ihre Geschäftsmodelle am bestehenden Urheberrecht auszurichten und Rücksicht auf die Interessen der Kreativen zu nehmen. Ihnen wäre es sicher am liebsten, dieses Recht gäbe es gar nicht mehr, außer zum Schutz ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen. Angesichts dieses Strebens nach Gewinnmaximierung lässt sich nachvollziehen, dass diesen Intermediären die Interessen ihrer Nutzer, die mit persönlichen Daten bezahlen, wichtiger sind als die Interessen derjenigen, deren Werke massenhaft und ohne Vergütung auf ihren Plattformen verwertet werden.
Wenn aber wir Künstler und Urheber auf unseren Rechten bestehen, wenn wir als Akademie eine unentgeltliche Aneignung der Rechte und Leistungen unserer Mitglieder verhindern wollen – wenn das alles als Spaßverderben betrachtet wird, dann läuft etwas falsch. Teilhabe ja, Freibier nein!

Was müsste demnach geändert werden?

Es müsste möglich sein, dass aus den Milliardengewinnen der Internetkonzerne entsprechende Anteile an die Rechteinhaber – Urheber, Verlage, Musikwirtschaft – gezahlt werden, denn ohne deren Leistungen und Werke würde der Internetwirtschaft schlicht der Content fehlen.

Konkret: Wer mehr nutzen oder umfangreichere Nutzungsmöglichkeiten schaffen will, soll sich auch Gedanken darüber machen, wie er diejenigen, auf deren Werke er angewiesen ist, angemessen am Geschäft beteiligt.

Es wäre gut, wenn hier ein gesellschaftlicher Konsens gefunden werden könnte. Wir sind nicht in Sorge, dass man diese Positionen, die von der Bundesregierung weitgehend geteilt und unterstützt werden, auch den Nutzern vermitteln kann. Schließlich wollen auch sie zukünftig von der kreativen Arbeit unserer Mitglieder und aller anderen Kreativen weltweit profitieren.

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Dieser Artikel ist auch im Magazin „Das Netz – Jahresrück­blick Netzpolitik 2015/16“ veröffentlicht. Das Magazin ist gedruckt, als E-Book und online erschienen.

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