Identität für alle

„Corporate Identity“ ist eine wichtige Koordinate großer Unternehmen und Konzerne – doch keineswegs auf sie beschränkt. Ein neues, gleichnamiges Ratgeber-Buch wendet sich nun speziell an kleine Unternehmen und Solo-Selbständige, um sie auf den Weg zu einer eigenen und wirkungsvollen „Unternehmensidentität“ zu führen. Mit klarer Struktur und Sprache bietet es – abgesehen von vereinzelten Oberflächlichkeiten – vor allem Nutzwert: Checklisten und Fallbeispiele, Motivationswerkzeuge und Handlungsanleitungen.

Stellen wir uns folgende Szenerie vor: Gelächter im Kinosaal. Eben noch grinsten sich auf der Leinwand gut gelaunte Darsteller durch die fröhlich-bunten Räume einer Fastfood-Kette, scheinbar voll zufrieden mit dem Fliessband-Essen der Marke Preiswert auf ihrem Tablett. Wenig später ist das Foto eines nahegelegenen Restaurants zu sehen und eine Stimme aus dem Off regt an, dort einzukehren. Doch das Bild auf der Leinwand ist schief, grobkörnig und blass, die Schrift unübersichtlich, das gesprochene Wort schwer zu verstehen. All das wirkt unfreiwillig komisch, für großes Kino zu mickrig, zu banal. Was bleibt, ist der Eindruck, dass Koch und Bewirtung dort vielleicht genauso amateurhaft sind, wie diese Huschi-Wuschi-Werbung. Wie viele Kinobesucher entschliessen sich wohl, in diesem Restaurant wirklich Platz zu nehmen?

Doch wer weiss, womöglich verfügt dieses Restaurant über eine ordentliche Küche, bietet authentische Familien-Atmosphäre und aufmerksamen Service. Und es darf für seine Speisen daher völlig zu recht einen weit höheren Preis verlangen als der erwähnte, konfektionierte „Marken“-Imbiss. Verkehrte Welt?


Keineswegs. Vielmehr Ausdruck dafür, wie ernst der lokale Kleinbetrieb hier und das multinationale Großunternehmen dort ihre jeweilige „Corporate Identity“ wohl nehmen. Gibt jedenfalls die Kommunikations-Beraterin und Fach-Autorin Annja Weinberger in ihrem gleichnamigen Ratgeber zu verstehen. Dessen Credo ist, dass nicht die Größe eines Unternehmens – und auch nicht die des Marketingbudgets – die entscheidende Bedingung für eine wirksame „Unternehmensidentität“ ist, sondern allein der Wille und das Selbstbewusstsein der handelnden Akteure, sich professionell „aufzustellen“. Gezielt adressiert sie „kleine Unternehmen (bis 50 Personen) und Solo-Selbständige“. Sie legt ihnen Prinzipien und Methoden nahe, die sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung der Kleinst- und Ein-Personen-Unternehmen auswirken.

„Ich führe selber ein kleines Unternehmen und weiß, wie schwierig es ist, mit all den verschiedenen Rollen einer Inhaberin zu jonglieren“, schreibt Weinberger im Vorwort. Und fragt: „Hilft mir da ein Ansatz, der sich traditionell eher als Management-Instrument großer Konzerne bewährt hat? Dort gibt es immerhin eine Marketing- und Kommunikationsabteilung mit Mitarbeitern, die Zeit haben, sich damit zu beschäftigen. Und weiter: Kann ein so komplexes Instrument wie CI (Corporate Identity) auf die Bedürfnisse kleiner Unternehmen herunter gebrochen werden?“
Die erwartungsgemäß bejahenden Antworten versucht das Buch in sechs Kapiteln und auf 176 Taschenbuch-Seiten zu liefern. Von Beginn an ist Weinberger bedacht auf einfache Sprache, verzichtet weitgehend auf Fachausdrücken und bemüht sich zudem um Pragmatik: die schnelle, konkrete Umsetzbarkeit von Erkenntnissen und Handlungsanleitungen durch die Leser. Mehr noch: Die routinierte Kommunikationsberaterin bietet als Leitidee für eine ebenso individuelle wie umfassende Unternehmensidentität die so genannte „VIVA“-Formel an – und das schon auf dem Buchdeckel. „VIVA“ steht für „Vision“, „Identität“, „Verhalten“ und „Außendarstellung“. Eine prägnante und leicht zu merkende Rezeptur, gleichermaßen roter Faden wie Versprechen.

Das Buch ist gut strukturiert und gegliedert: Nach der Ausgangsfrage, wie kleine Unternehmen von Corporate Identity (CI) wirklich profitieren können, stellt die Autorin die drei Säulen der CI ausführlich vor. Neben Gestaltung und „Verpackung“ eines Unternehmens (Corporate Design) gehören dazu das „Benehmen“ und Auftreten (Corporate Behaviour) sowie die „Kommunikation“ und das Dialog-Verhalten (Corporate Communications). Dies alles zu entwickeln und stimmig zusammenzufügen betrachtet Weinberger als „Prozess“, auf dessen konkrete Durchführung sie im Abschlusskapitel eingeht. Wie in Ratgebern üblich, finden sich auch hier immer wieder Zusammenfassungen der Gedanken, Checklisten oder „Kästen“ mit Spiegelstrichen, Leitfaden-Aufzählung. Eine mitunter penetrant wirkende „Faziterites“, die aber für den unbedingten Willen zum Nutzwert spricht, den dieses Büchlein durchaus liefert – und manchem können es gar nicht genug der Checklisten sein. Mir schon.

Mitunter wiederholen sich die Begrifflichkeiten und Merksätze zu häufig, gerade wenn es bei allgemeinen, abstrakten Botschaften bleibt. Die Einführungen verbleiben mir etwas zu lange auf der Meta-Ebene, wirken mitunter geplänkelig, da könnten ruhig früher schon konkrete Beispiele kommen. Wie wie etwa jene nähere Betrachtung des kleinen Dentallabors, welches sich Schritt für Schritt eine ansprechende „Unternehmensidentität“ erarbeitete, elegant und kundenorientiert, solvent und modern.

Wer jetzt primär die „Äußerlichkeiten“ vor sich sieht, wie Briefpapier, Rechnungen, Türschild, Visitenkarte und Webseite, ja, sogar Autobeklebungen, der liegt nicht komplett falsch – aber auch nicht hinreichend richtig. Gemäß der „VIVA-Formel“ sollen sich ja auch das Benehmen der handelnden Personen gegenüber ihren Kunden und Mitarbeitern an einer Art Leitidee orientieren: Art und Weise der Begrüßungen und des Umgangs am Telefon, im Geschäft, per Mail, oder auch bestimmte Wertvorstellungen, wie Nachhaltigkeit oder Toleranz. Wie man sich hier in kleinen Teams konkret „aufstellt“ und „selbstverpflichtet“, etwa mit der Verschriftlichung von Leitgedanken oder auch „Richtschnüren“, auf solche und ähnlich Fragen geht die Autorin sehr griffig ein, bietet für die notwendigen Selbstreflektionen entsprechende Fragekataloge. Soweit so nützlich, so zielführend. Die immer wieder eingeflochtenen Fallbeispiele, vom Ferienkinderbetreuungs-Service über ein Yoga-Studio bis hin zum Coaching-Dienstleister, sowie die ergänzenden Kurzgespräche vermögen das zuvor theoretisch Dargelegte gut zu erden. Schade, dass hier und da die Berater-Haltung dominiert. Manche Ausführungen wirken zu glatt und daher idealistisch.

Das mag daran liegen, dass es zu selten Beschreibungen von gescheiterten Versuchen gibt, von Sackgassen und verebbten Prozessen; zu wenig Analysen, woran es gelegen haben könnte. Es muss ja bei vielen Kleinfirmen auch zweite und dritten Anläufe gegeben haben, echte Lernkurven, eben, die ja selten eine unterbrechungsfrei nach oben zeigende Linie sind. Hin und wieder kommen Experten als Gastautoren zu Wort, mit eigenen Beiträgen oder in Interview-Gesprächen. Berater, Coaches, PR-Profis. Trotz vieler nützlicher Expertisen bleiben manche unter ihren Möglichkeiten, äußern sich zu oberflächlich. Sätze wie „Unternehmerische Strategien und persönliche Entwicklung müssen zusammenspielen“ oder „Wie meine Werte konkret verwirklicht werden, unterliegt dem Wandel“ sind so richtig wie allgemeingültig, da schrillt der Plattitüden-Alarm. Hier wünscht man sich als Leser Kontroversen und Nachfragen, eine zupackende Gesprächsführung, mehr Analyse. Nicht nur des höheren Nutzwertes halber, sondern auch hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit der Experten-Aussagen selbst.

Diese vereinzelt fehlende Tiefe mindert den Wert des Buches als überzeugender Ratgeber für die angepeilte Zielgruppe nur wenig. Immer dann, wenn Fallbeispiel-Protagonisten ihren Weg plastisch erläutern, ist es motivierend. Und wenn sich darauf dann Zusammenfassungen und Check-Listen in den Lese-Weg stellen, greift man als pro-aktiv „Lernender“ gerne zu Stift oder Textmarker.
Bezogen auf das eingangs erwähnte Restaurant stünde wohl die Überarbeitung der verkorksten Kino-Werbung womöglich nur am Ende eines längeren Selbstfindungs- und Neu-Aufstellungs-Prozesses. Hierbei systematisch und mit Bedacht vorzugehen, legt die beinahe gebetsmühlenhaft oft wiederholte VIVA-Formel nahe. Sie zieht sich durch das Buch wie ein stützendes Geländer am Rand eines anstrengenden Bergwanderpfads.

Fazit: Das Buch löst sein eigenes Versprechen ein, insbesondere Kleinunternehmen und Solo-Selbständigen praktische Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten; sie darin zu bestärken, pro-aktiv an ihrer Unternehmensidentität zu arbeiten, um diese als wesentlichen Bestandteil für professionelles Wirken und für wirtschaftlichen Erfolg zu begreifen. Mit den vielen Fragelisten, Leitfäden, Checklisten und der direkten Leser-Ansprache bietet es sich als „Arbeitshandbuch“ an. Es ist motivierend und fordert seine Leser auf sympathische Art heraus, trotz aller Belastungen mit dem Tagesgeschäft, die Umsetzung nicht länger aufzuschieben. Insofern ist es auch (oder gerade) solchen Fällen zu empfehlen, wie dem eingangs beschriebenen Restaurant. Um schallendes Gelächter im Kino durch sattes Lächeln in der vollen Gaststube zu ersetzen.

Weinberger, Annja
CORPORATE IDENTITY – GROSSER AUFTRITT FÜR KLEINE UNTERNEHMEN
Mit der VIVA-Formel zum Erfolg
176 S., 55 Abbildungen
Format: 21,0 x 14,8 x 1,1 cm
ISBN 978-3-8307-1378-4
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