Das neue Album von Joy Denalane zeigt sie mit riesiger Mähne – ein Motiv, das auch innere Stärke und Selbstbestimmtheit signalisiert. Es fügt sich an ähnliche Cover von Soul-Musikerinnen, die (selbst-)bewusst Haare zeigen.
Am Freitag erschien das neue Album der Berliner Soul-Musikerin Joy Denalane, „Gleisdreieck“. Das Cover zeigt Denalane im Gegenlicht, ihre beeindruckende lockige Mähne nimmt einen Großteil des Bildes ein, ihr Gesicht ist im Schatten, sie guckt ernst. Ein schönes Motiv, passend zur Grundstimmung von Musik und Texten: Denalane klingt und singt in sich gekehrt, gleichwohl selbstbewusst und auch dynamisch, auf einen zugkommend, mit wärmendem Sonnenlicht im Rücken.
Soul von Musikerinnen – ob sie vom Jazz, vom Hiphop, oder vom Funk kommen – mag ich wirklich sehr, und das schon länger. Gerade in den vergangenen Jahren sind eine ganze Reihe hervorragender Soul-Funk-Alben von Frauen erschienen und viele neue Talente in die erste Reihe vorgerückt. Beispielsweise Macy Gray und Erykah Badu, Alicia Keys und Esperanza Spalding, Kandace Springs und Eryn Allen Kane, um nur ein paar zu nennen.
Und was mir dabei spätestens im vergangenen Jahr auffiel: viele dieser Soul-Frauen setzen sich seit einiger Zeit verstärkt mit ausladenden Frisuren in Szene, ob kugelrunder „Afro-Look“, wellige Löwenmähne oder wilder Wuschelschopf.
Das reizte mich, in Plattencovern der vergangenen Jahre zu stöbern und die meiner Meinung nach besten Motive in einer Collage zu vereinen, mehr oder weniger chronologisch abwärts von heute bis in die 70er sortiert.
Selbstverständlich gibt es noch viel mehr Cover mit ähnlichen Motiven, wird es auch in den Genres Rock, Pop oder Dance zahlreiche Beispiele für ausdrucksstarke Mähnen geben. Und womöglich kommen die Frisuren in anderen Promofotos oder Bühnenaufnahmen noch besser zur Geltung. Mir ging es aber speziell um die Plattencover, weil sich in diesen Motiven (wahrscheinlich) am deutlichsten das Statement der Künstlerin ausdrückt.
Die prächtigen Haargebilde „stehen“ wortwörtlich für innere Stärke
Aus meiner Sicht sollen die prächtigen Haargebilde wortwörtlich für etwas „stehen“: für eine selbstbewusste Haltung, für Kraft und innere Stärke, vielleicht auch für Wildheit; dafür, die eigenen Überzeugungen „nicht beschneiden“ zu lassen, für Freiheit und Selbstbestimmung. Im übrigen blicken die hier beispielhaft gezeigten Soul-Musikerinnen meist sehr selbstbewusst und auch selbstbestimmt (selten verspielt und eigentlich nie gewollt lasziv).
Womöglich sehe ich damit zu viel in diesen visuellen Inszenierungen. Doch häufig genug decken sich musikalischer und textlicher Ausdruck genau mit diesen Attributen, und in Begleittexten und Interviews erklären die Musikerinnen, dass ihre entsprechende Lebensphase oder ihre generelle Haltung genau einer solchen (neuen) inneren Stärke entsprechen – und dem Willen, diese auch zu zeigen. Gut, auch derlei Erläuterungen mögen Teil der Promotion für ein Album seien – bekanntlich braucht aber jede Story eine tragfähige Basis aus Wahrheit oder Authentizität, sonst klatscht sie mitunter so schnell zusammen wie eine Dauerwelle bei Regen … .
Anhand der bereits zur künstlerischen Ikone gewordenen Erykah Badu zeigt sich die (von mir hoffentlich nicht an den Haaren herbeigezogene) Bedeutung von Frisur besonders. Badu arbeitet bei fast allen Plattencovern, auf der Bühne und in Videos viel mit ihrem „Hair of Soul“ sowie mit Kopfbedeckungen – ihr facettenreiches Artwork verdient ohnehin eine gesonderte Betrachtung … (Notiz an mich selbst ;-) Aber auch die Jazz-Bassistin Esperanza Spalding oder die vielseitige Songwriterin Alicia Keys lassen meiner Wahrnehmung nach ihre Haare ausdrücklich zur Geltung kommen. Und die Geschichte der Plattencover kennt dafür noch einige berühmte Beispiele mehr, etwa Chaka Khan oder auch Janis Joplin … .
Meine erste Erinnerung an eine Powerfrau mit Afro-Look ist übrigens die an Angela Davis, eine politische Aktivistin in den USA, die sich unter anderem für Frauenrechte, Black Power und Frieden einsetzte und in den 70er Jahren weltweit bekannt war. Soul hat sie nicht gesungen, sie war als Rednerin bekannt, das in der Collage gezeigte Album enthält unter anderem ein Interview mit ihr aus dem Jahr 1970. Schon bei der „Black Power-Bewegung galt – nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern – der oft riesige, oft ungebändigte und stets beeindruckende Afro-Look als politisches Statement.
Damit will ich jetzt keine Gleichnisse von der politischen Aktivistin Davis zu Powersoul-Frauen der Gegenwart aufstellen, es ging mir ja um die Plattencover und das „Hair of Soul“. Und ich finde, das sieht einfach verdammt gut aus.
Die gezeigten Alben von oben links nach rechts unten:
Joy Denalane – Gleisdreieck [2017]; Alicia Keys – Here [2016]; Izzy Bizu – White Tiger [2016]; Kandace Springs – Soul Eyes [2016]; Solange – A Seat at the Table [2016]; Céu – Tropix [2016];
Cassandra Wilson – Coming Forth By Day [2015]; Leela James – Fall For You [2015]; Andy Allo – Hello [2015]; Eryn Allen Kane – Piano Song [2015]; Janet Jackson – Unbreakable [2015]; Laura Izibor – Let The Truth Be Told [2009];
Esperanza Spalding – Esperanza [2008]; Nneka – No Longer At Ease [2008]; Janelle Monáe – Lettin Go [2006]; Erykah Badu – Worldwide Underground [2004]; Macy Gray – The ID [2001]; Rosie Gaines – Are You Ready [1995];
Teena Marie – Ivory [1990]; Patrice Rushen – Watch Out! [1986]; Donna Summer – Donna Summer [1982]; Chaka Khan – What’cha gonna do for me [1981]; Janis Joplin – Joplin in Concert [1972]; Angela Davis – Soul and Soledad [1971]