Gläserner Staat und transparente Wirtschaft

„Während sich Unternehmen und Staat anstrengen, den „gläsernen Bürger“ und den umfassend überwachten Beschäftigten Wirklichkeit werden zu lassen, braucht eine starke Demokratie das Gegenteil: einen gläsernen Staat und eine transparente Wirtschaft. Davon sind wir weit entfernt.“

„Gläserner Staat und transparente Wirtschaft“ – derart markige ‘Forderungen‘ finden sich in der Abschlusserklärung, die der am vergangenen Wochenende in Berlin durchgeführte „Kongress Öffentlichkeit und Demokratie“ verfasste und jetzt veröffentlichte. Drei Tage lang referierten, diskutierten und debattierten sich rund 130 Referenten und 600 Teilnehmer am Leitthema des Veranstaltungstitels ab, durchaus mit dem Willen zu Pragmatismus. So enthält die Abschlusserklärung sehr konkrete Vorschläge und Forderungen, um „Öffentlichkeit“ demokratischer zu gestalten und hierfür den Medien (wieder) mehr „Handlungsmacht“ und „Auftrags-Verantwortung“ zu ermöglichen:

„Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer mit welchen Budgets politische Entscheidungen beeinflusst. Dies erfordert ein verpflichtendes, sanktionsbewehrtes Lobbyisten-Register, in dem Interessenvertreter ihre Auftraggeber und Kunden, die Themen ihrer Arbeit, Finanzquellen und Budgets offen legen. Darin müssen sämtliche Interessenvertreter, beispielsweise Unternehmen, Verbände, Nichtregierungsorganisationen, PR-Agenturen, Denkfabriken, Anwaltskanzleien und selbstständige Lobbyisten, erfasst sein“.

Ja, richtig gelesen: Ein „Lobbyisten-Register“ soll es geben, erstens verpflichtend (für die Lobbyisten) und zweitens zu Bestrafungen (Sanktionen) befugt. Das ist starker Tobak, vor allem wirtschaftspolitisch: Hat doch der „Lobbyismus“ für die Wirtschaft in Bezug auf Politik und Gesellschaft in etwa die Funktion des „Avatar“-Programms im gleichnamigen Spielfilm: „Mit Integration dieser Avatare in die Gemeinschaft der Na’vi soll der Einfluss der Menschen auf die Eingeborenen erhöht werden, um diese für ihre Zwecke zu gewinnen.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Avatar_–_Aufbruch_nach_Pandora#Avatar-Programm). Doch ähnlich wie im Film, geht es Lobbyisten auch darum, die Aufwände für und die Ergebnisse durch diese, ihre Einflussnahme möglichst verdeckt zu halten, wegen der Risiken und Nebenwirkungen auf die Natur/-Völker (Film) beziehungsweise die Demokratie/-Gesellschaft (Realität).

Gewiss bliebe bei Schaffung eines derartigen „Lobbyisten-Registers“ die Frage, wo die Verantwortung dafür läge, wie und von wem diese Kontrollinstanz zu kontrollieren wäre. Einen Teil dieser Verantwortung sieht die Kongress-Abschlusserklärung seitens der Presse, die es zu stärken gelte:

„Journalistinnen und Journalisten stehen in der Verantwortung, Hintergründe und Interessen(konflikte) sichtbar zu machen. Zu den Grundlagen, um diese Aufgabe erfüllen zu können, zählen ausreichende Ressourcen, die sie von Redaktionen, Verlagen und Sendern erhalten müssen. Gegen Spindoktoren und Hochglanz- produktionen, gegen Lüge und Verschleierung sind inzwischen viele Initiativen unterwegs, die auf Transparenz drängen und – oft im digitalen Netz – neue öffentliche Foren anbieten.“

Ausreichende Ressourcen für Journalisten, damit sie frei und unabhängig recherchieren und risikolos aufdecken können? Das klingt heutzutage, wo Verlage und Sender gerade an diesen menschlichen Ressourcen massiv sparen, etwas idealistisch. Doch der Kongress scheint es ernst zu meinen, nimmt man die in der Abschlusserklärung zitierten Thesen des Journalisten Tom Schimmeck als entsprechende Forderungen:

 

  • Die Gesellschaft muss die Medieninhaber viel stärker in die Pflicht nehmen (u.a. durch Redaktionsstatute, Presserecht, institutionalisierte Pressekritik). Sie haben eine enorme demokratische Verantwortung.
  • Wir brauchen eine Renaissance des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens, die für Unabhängigkeit, Qualität, Meinungsvielfalt und Offenheit für alle gesellschaftlichen Gruppen Sorge trägt.
  • Wir brauchen ein anderes, freieres, zornigeres, couragierteres journalistisches Selbstverständnis. Zu viele werden gebrochen durch lebenslange Praktika, durch den Druck des Marktes. Zu viele schwimmen mit im Mainstream. Wir haben immer besser ausgebildete Journalisten. Aber die Interessen der Mittelschicht sind deutlich überrepräsentiert. Und mit ihr eine bestimmte Lebenswirklichkeit, eine bestimmte Wahrnehmung. Auch ein Grund, warum ein Thema wie Mindestlohn es so schwer hat.
  • Wir brauchen Strukturen wie Stiftungen und Vereine, die unabhängigen Journalismus fördern.
  • Wir müssen mehr große Internet-Experimente wagen. Magazine, Foren und Portale aufbauen, die echte Öffentlichkeit schaffen. Und Wege finden, damit sie Erfolg haben und sich tragen.

Wow, gut gegeben, Herr Schimmeck. Das liest sich zwar fast genau so fantastisch wie sich die Rettung von Pandora durch einen verliebten und bekehrten Ex-Soldaten. Aber es scheint auch genau so notwendig, ist zu befürchten.

Videos (Webcasts) der einzelnen Vorträge und Panels: http://oeffentlichkeit-und-demokratie.de/webcast.html?video=SonntagVeranstaltung_16

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