Friedrichshain-Kreuzberg-Museum: Der lange Weg ins Netz

Das Heimatmuseum des Berliner Stadtbezirks Friedrichshain-Kreuzberg hat aus seinen Sammlungen rund 3.500 digitalisierte Objekte online gestellt. Während des knapp zwei Jahre währenden Projekts floss aber auch sehr viel Arbeit in langwierige Rechtsklärungen. Für diesen Bericht besuchte ich das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum ((FHXB) und sprach vor Ort mit den engagierten Mitarbeiterinnen. (Veröffentlicht bei iRights.info unter CC BY-ND).

Reprofotograf Christoph Petras fotografiert Werke der Kreuzberger Bohème. Foto: Ellen Röhner
Reprofotograf Christoph Petras fotografiert Werke der Kreuzberger Bohème. Foto: Ellen Röhner

Kreuzberg war zu Zeiten der geteilten Stadt zwar einer der flächenmäßig kleinsten Stadtbezirke Westberlins, doch er war einer der turbulentesten – und einer der innovativsten. Auf dem Humus der alternativ-anarchistischen Soziotope wuchsen dort in den 1970er Jahren die grünen Sprossen der berühmt-berüchtigten „Bewegung“. Die wiederum brachte auf der einen Seite fundamental widerständige Formen des Handelns, auf der anderen realpolitisch konstruktive Modelle hervor. Und Ergebnisse, die man bis heute sehen kann.

Damals ging es im eng bebauten, multikulturellen Kreuzberg – wie in kaum einem anderen Innenstadtgebiet deutscher und auch internationaler Metropolen – vor allem um die dringend notwendige Erneuerung der Wohnräume und des Zusammenlebens. Darum wurde ideologisch gekämpft, aber auch demokratisch gerungen: in besetzten Häusern und auf brennenden Straßen, in Bürgerinitiativen und auf Demos, mit Argumenten und mit Steinen, mit Groll und in Gremien, mit Deeskalation und Beteiligung.

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Foto: Ellen Röhner

Das alles ist noch gar nicht lange her – und doch schon Geschichte genug, um von Historikern mit großem Interesse und ebenso großem Engagement aufgearbeitet zu werden. „Aus unserer Sicht sind die Kreuzberger Entwicklungen zu Sanierung, Stadterneuerung und Bürgerbeteiligung ganz wichtig für die Identität unseres Bezirkes“, sagt Ellen Röhner vom Friedrichshain-Kreuzberg-Museum, kurz FHXB.

Historiker aus New York und Japan fragen an

Das Museum, eine öffentliche, vom Bezirksamt finanzierte Einrichtung, will sich bewusst von jenem Typus Heimatmuseum abheben, in dem über frühe Dorf-Geschichte oder wilheminische Verhältnisse erzählt wird. Vielmehr stellt das FHXB – unweit des Kottbusser Tors und damit in der sozialen Mitte Kreuzbergs gelegen – die wilden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in den Mittelpunkt: Kahlschlagsanierung und Häuserkampf, Künstler-Bohème und Internationale Bauausstellung (IBA), sichtbare Erneuerung und nachhaltige Konzepte.

Die Ergebnisse haben Bestand, doch wie es dazu kam, droht in Vergessenheit zu geraten. Denn viele der damals Beteiligten leben zwar noch, doch die meisten nicht mehr im Bezirk oder auch fern von Berlin, so Ellen Röhner: „Kreuzberg hat eine hohe Fluktuation, alle 15 Jahre tauscht sich die Bevölkerung zu 90 Prozent komplett aus.“ Für die jeweils Neuen sei die Identifikation mit dem Wohnbezirk sehr wichtig. Und das heutige Friedrichshain-Kreuzberg sei eben sehr stark durch die vergangenen fünf Jahrzehnte geprägt – deshalb richte das FHXB hierauf einen besonderen Fokus.

Außerdem beziehen sich viele Nachfragen gerade auf diese jüngere Geschichte, etwa von Historikerinnen oder Stadtentwicklern. Selbst aus New York und Japan seien Wissenschaftler an das kleine Museum herangetreten, um hier zu Stadterneuerung und Bürgerbeteiligung forschen zu können. Darüber hinaus kommen in den vergangenen Jahren verstärkt Schulen des Bezirks, die sich in Projekten mit der Kiezgeschichte beschäftigen wollen. Das alles sei sehr erfreulich, doch ihr kleines Team sei damit überfordert, so Röhner.

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Foto: Ellen Röhner

Viele Anfragen müssten schweren Herzens abgewiesen werden. Mit zweieinhalb Planstellen und nur zeitweise mitarbeitenden Volontären, Praktikanten und Hilfskräften – viele davon ehrenamtlich mitwirkend – könnten sie ihren Auftrag als Bezirksmuseum und Archiv leider nur mit vielen Abstrichen erfüllen. Damit sie das große Interesse etwas besser und auch aus der Ferne bedienen könnten, entschied sich das FHXB, die Digitalisierung und die Online-Verfügbarkeit der eigenen Sammlungen systematisch in Angriff zu nehmen.

„Für uns ist die Zukunft digital, und wir wollen da ganz vorne mit dabei sein“, sagt Ulrike Treziak, feste Mitarbeiterin des FHXB. Das Bestreben ist, möglichst viele Objekte und Exponate online ausstellen zu können. So viele Objekte wie möglich sollen zur weitergehenden Nutzung und Weiterbearbeitung zur Verfügung stehen, sprich mit freien Lizenzen versehen werden. Ein Anspruch, dem das Museum bisher leider nicht so gut gerecht werden kann, wie es sich das wünscht.

EU-gefördertes Projekt

Im Rahmen des Projekts Darchim, das von der Europäischen Union im EFRE-Programm gefördert wurde, digitalisierte das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum von 2013 bis 2015 erste Teile aus seinen Beständen. Zu den Fördervorgaben gehörte dabei, die Digitalisate in den Datenbanken so aufzubereiten, dass die Daten auch an die Deutsche Digitale Bibliothek und an das europäische Großprojekt Europeana übermittelt werden.

Für Darchim wählte das FHXB fünf seiner Sammlungen aus. Neben dem Konvolut zu „Stadterneuerung und soziale Bewegungen“ in den 1970er und 80er Jahren in Kreuzberg zählen dazu Objekte zur Migration nach Friedrichshain und Kreuzberg, die Ausstellung „Juden in Kreuzberg“, Objekte zum Künstlerkreis Kreuzberger Bohème sowie die Sammlung des vormaligen Heimatmuseums Friedrichshain.

Kernstücke der Sammlung zu Stadterneuerung und sozialen Bewegungen sind über 900 Einzelpublikationen aus dem Umfeld der Internationalen Bauaustellung (IBA), die von 1984-1987 andauerte. Dazu kommen 160 Ordner mit Dokumenten zur Tätigkeit des Stadtteilvereins SO 36, der sich als einer der ersten in Deutschland für Bürgerbeteiligung einsetzte und sie erreichte. Desweiteren gehören dazu die vollständigen Jahrgänge von fünf wohnungspolitisch ausgerichteten Stadtteilzeitschriften, wie dem Südostexpress sowie Flugblätter und Plakate. Das alles befand sich entweder in der Sammlung des ehemaligen Kunstamts Kreuzberg oder stammt aus Nachlässen und Schenkungen von Vereinen, Firmen und Privatpersonen.

Foto: Ellen Röhner
Foto: Ellen Röhner

Doch mit Überlassungen und Schenkungen gehen nicht gleichzeitig die Nutzungsrechte an das Museum über. „Das liegt weniger daran, dass diese Fragen in den Jahrzehnten vor dem Internet keine große Rolle gespielt haben, sondern vorwiegend daran, dass das bundesdeutsche Urheberrecht eine Übertragung dieser Rechte gar nicht zulässt“, heißt es dazu im Abschlussbericht des Projekts.

Die Suche nach Rechteinhabern ist detektivische Arbeit

Wer war alles an Stadtteilzeitschriften oder Flugblättern beteiligt? Wer hat Texte geschrieben, wer hat fotografiert, illustriert, layoutet, gemalt, und Planungen entworfen? Wer hat an Gutachten von Architekten und Stadtplanern mitgewirkt, in denen wiederum Zeitungsartikel oder andere Quellen vorkommen, die man nicht ohne weiteres online stellen kann, sondern nur mit ausdrücklicher Erlaubnis durch den oder die Rechteinhaber?

Kurzum sind für jedes Objekt mitunter dutzende Urheber zu ermitteln. Dazu muss man die einzelnen Personen finden, sie kontaktieren, ihnen das Projekt erklären, um Erlaubnis für das Ausstellen und Freigeben der Werke im Web bitten. Hierbei stießen die Mitarbeiterinnen Jana Braun und Karoline Czech auf viele offene Ohren und Türen. Einige Aktivisten der 1970er und 1980er Jahre boten sogar an, als ehrenamtliche Helfer mitzuarbeiten und so die Sicherung jener Geschichte zu unterstützen, die sie damals selbst gemacht hatten.

Volle sieben Monate hat sich Braun in Vollzeit mit dieser mühevollen Rechteklärung beschäftigt. Als wichtig und nützlich erwiesen sich dabei die Helfer, die damals persönlich involviert waren. Sie vermittelten nicht nur viele Kontakte, sondern leisteten Überzeugungsarbeit für das Anliegen des Museums.

Wenig Creative Commons, viel „RR-F“

So gelang es, einen großen Teil der Urheber und Rechteinhaber ausfindig zu machen, um mit ihnen über die Rechteeinräumung zu reden. Gleichwohl gab es auch schwierige Fälle: Zum Beispiel war bei einigen Künstlern eine Online-Veröffentlichung mit Creative-Commons-Lizenzen nicht möglich, weil deren Vereinbarung mit der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst die Creative-Commoons-Lizenzierung ausschließt. In diesen Fällen sind die Werke mit „Rights Reserved – Free Access“ (RR-F) gekennzeichnet. Gemeint ist, dass die Ansicht im Web erlaubt ist, jegliche weitere Nutzung jedoch erfragt werden muss. Andere konnten dem Internet rein gar nichts Gutes abgewinnen und lehnten eine Nutzungsfreigabe kategorisch ab.

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Von den erfassten knapp 3.500 Datensätzen stehen 79 Prozenten als digitale Kopien online, während bei 21 Prozent nur die Metadaten zugänglich sind. Das FHXB rechnet in den allermeisten Fällen nicht mehr mit einer Freigabe, weil in diesen Fällen die Rechteinhaber nicht aufzufinden waren.

Innerhalb der 79 Prozent sind wiederum 15 Prozent der Digitalisate geschwärzt oder durch einen Blur-Filter nur schemenhaft erkennbar. Bei den Schwärzungen geht es in der Regel um Datenschutz: Im Zuge der politischen Auseinandersetzungen wurden in Flugschriften oder Magazinen Meinungen mitunter radikal zum Ausdruck gebracht. Dort gilt es im Nachhinein die Persönlichkeitsrechte jener zu wahren, die darum ersuchen. Der Blur-Filter wiederum war meist erforderlich, weil kommerzielle Fotoarchive die Abbildungen gar nicht oder nur gegen Lizenzzahlungen freigeben wollten, die für das FHXB jedoch zu hoch waren.

Landesarchiv: F Rep. 290 (05) Nr. II12109

20150528_juden_in_kreuzberg_23Eine Creative-Commons-Lizenz mit Namensnennung (kurz CC BY) tragen nur 266 Objekte, das entspricht etwa acht Prozent. Sie entstammen alle der Sammlung „Künstlerkreis Kreuzberger Boheme“. Alle anderen sichtbaren Werke wurden mit dem „RR-F“-Hinweis online gestellt. Mit dieser geringen Quote ist das FHXB zwar nicht glücklich, aber angesichts der enormen Mühen, die die Rechteklärung erforderte, dennoch zufrieden.

„Diese Rechteklärung war schon sehr, sehr aufwändig“, sagen Röhner und Treziak. Die Recherchen sind sehr kleinteilig und zu langwierig und gehören für Archivare und Dokumentare ohnehin nicht zu den Hauptaufgaben. Daher wünschen sich die Archivare, das Urheberrecht würde hier etwas mehr Freiraum bieten, etwa durch Ausnahmen für das Onlinestellen der Werke, die Museen überlassen und übereignet wurden.

Kein Hadern mit der Technik

Nachlässe und Sammlungen zu begutachten, Bestände zu sichten, zu bewerten, zu sortieren und historisch einzuordnen, den Zugang und die Nutzung kulturellem Erbmaterial zu ermöglichen – dafür seien sie da, erzählen Röhner und Treziak.

Das Digitalisieren ist mit heutigen Geräten und Programmen mittlerweile keine Hürde mehr, ob man das nun hausintern erledigt oder an externe Dienstleister auslagert. Auch die notwendigen Objekt-Beschreibungen und das Katalogisieren in der Datenbank seien zwar aufwändig, aber nicht das Problem. Im Verlauf des Projekts sammelten sie viel Know-how zu nützlichen Werkzeugen und Arbeitsstrukturen. Von all diesen Kenntnissen soll das Museum bei zukünftigen Projekten profitieren.

Darchim wurde Ende Oktober 2015 offiziell abgeschlossen. Mit knapp 3.500 Online-Objekten belegt das FHXB mengenmäßig einen der vorderen Plätze unter den rund 450 deutschen Museen, die auf der Online-Plattform museum-digital.de vertreten sind. Sie fungiert als Aggregator für einheitlich katalogisierte Bestände und sorgt für die Überstellung der Daten an DDB und Europeana.

Trotzdem blieb das FHXB unter seinen eigenen Vorgaben. Doch mehr sei mit den vorhanden Ressourcen und Mitteln nicht zu schaffen gewesen. Das Digitalisierungsprojekt ist dennoch nicht abgeschlossen – immer wieder landet neues, wertvolles Material beim FHXB. So konnte das Museum kürzlich einen weiteren umfangreichen Nachlass des Vereins S.T.E.R.N., der die Archive der IBA verwaltete, vor dem Müllcontainer retten. Darunter sind viele, qualitativ hochwertige Diafotos von ganzen Sanierungsgebieten, die danach rufen, im Netz zugänglich gemacht zu werden.

Fotos und Dias der IBA alt von S.T.E.R.N
Foto: Ellen Röhner

„Das wollen wir unbedingt umsetzen“, sind sich Treziak und Röhner einig. Einen Antrag auf neue Projektförderung hat das FHXB bereits beim Berliner Senat eingereicht und ist gespannt, ob es einen Anteil der ausgeschriebenen 400.000 Euro zugeschlagen bekommt.

Die Bewegung lebt weiter, auch im Digitalen.

Offenlegung: Das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum wurde von der Kanzlei iRights.Law zu Verträgen bei der Rechteklärung beraten.


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