Wer den US-amerikanischen Sänger Jose James unter „Jazz“ einordnet, liegt damit nicht ganz falsch. Und wer ihn als aussergewöhnlichen Vokalisten und grosses musikalisches Talent sieht, liegt damit gewiss richtig. Doch seine sanfte Stimme und seinen instrumentalen Gesangs-Stil vorschnell auf Jazz festzulegen und von ihm vorwiegend genialische Intonationen und Improvisationen zu erwarten, führt weg von der Musik, für die Jose James steht – und auch von jener Synthese, die er anstrebt. Ab heute spielt James live in 5 deutschen Städten.
„Die meisten Leute sehen gar nicht, wie viel Hip Hop in mir ist“, sagt Jose James in einem Interview für die Website Friendswelove. „Ich habe schon als Jugendlicher Hip Hop, aber auch viel Jazz gehört, ich bin damit aufgewachsen, mit diesen Jazz-Samples. Und ich habe mich nun gefragt, wie man daraus etwas musikalisch neues machen kann.“ James weiss sehr genau, dass ihn seit seinem Erstlingswerk viele als die neue grosse Hoffnung des Jazz-Gesangs sehen. Kein Wunder, zeigt er sich auf „The Dreamer“ (2008 erschienen bei Brownswood Recordings) mit seinem butterweichen, schleppend-lässigen und stilsicheren Gesang zu lupenreinen Jazz-Arrangements als moderner, junger, offener Traditionalist. Vom Geist der Klassiker und Standards genährt und mit unbeschwerter Lust am Erneuern und Aufpolieren. Die samtene Klangfarbe seiner Stimme, sein rhythmisches und die Phonetik der Wörter nutzendes Intonieren erinnert an die besten Aufnahmen des Swing-Era-Sängers Mel Torme gepaart mit dem Improvisationsmut eines John Coltrane, als dessen grosser Bewunderer Jose James sich immer wieder selbst bezeichnet.
Traditioneller oder auch Standard-Jazz, wozu der erst 27-jährige James auch die Nachkriegs-Varianten zählt, wie Modern Jazz oder Bebop, ist für ihn die intensive musikalische Schule gewesen. Schon als 14-jähriger hörte er Jazz-Radiosender, mit 16 fing er selbst an zu singen, tat sich nach der Schule mit seinem dann pensionierten Musiklehrer zusammen, um mit ihm einmal wöchentlich aufzutreten und sich zudem weiter mit dem Jazz zu beschäftigen, über den er in der Schule so gut wie nichts erfahren hatte. „Für mich hat Jazz nichts mit College und Studieren zu tun. Man muss ihn selbst spielen, durch‘s Spielen erkennt man ihn“, gibt er dem Online-TV-Sender on-point.tv zu Protokoll. Rund zehn Jahre tingelt Jose James als reiner Jazz-Sänger durch Clubs, gibt Standards zum Besten. Doch richtig weiter kommt er mit der Ochsentour nicht. Immer mehr spürt er, dass auch die anderen musikalischen Einflüsse und Vorlieben in ihm nach Ausdruck drängen.
Geboren in Minneapolis wächst Jose James im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf, ein rauher Bezirk, der in seiner Jugendzeit, den 90ern, nach Hip Hop klingt, mit damals noch größeren Varianzen als heute. James wuchs mit Rap auf, ihm gefielen intelligente Bands wie „Freestyle Fellowship“ und „Digable Planets“, die sich für ihre Grooves reichlich im Jazz bedienten. „Die waren positiv, jazzy und frisch, das sprach mich an.“ Und so öffnete er sich auch als Sänger diesen Einflüssen. Als er 2006 in London an einem Jazz-Wettbewerb teilnahm, gewann er dort zwar keinen Preis, fiel aber dem britischen Musiker, Produzenten und Label-Besitzer Gilles Peterson auf. Ihm gefiel die Synthese aus klassisch geschultem Jazz-Gesang gepaart mit den frei denkenden Spielarten des Rap sowie versetzt mit Soul und Blues, so sehr, dass er mit James das Debut-Album „The Dreamer“ aufnahm.
„The Dreamer“ klingt genau so vertraut nach blau-vernebeltem Jazz-Club, wie es sich mit Begenungslust auf die Strassen von heute begibt. Ein Höhepunkt des Albums stellt mit Sicherheit der Song „Park Bench People“ das, eine Adaption des gleichnamigen Tracks der „Freestyle Felowship“-Rapper. Das zugehörige Video rückt die Obdachlosen, von denen es handelt, stimmig ins schwarz-weisse Bild, und es lässt die Sensibilität und auch den sozialkritischen Anspruch von James als Künstler deutlich werden.
Das auf dem Album folgende und inhaltlich an „Park Bench People“ anknüpfende, ebenso bluesig-swingende wie poetische „Spirits up above“ kann als Schlüsselstück des Albums gelten, voller Zauber und Kraft, voller Schönheit und Willen.
„The Dreamer“ verkaufte sich auf Anhieb gut und dank einer fast zweijährigen Reise durch Europa und nach Asien, zu renommierten Festivals – etwa das North Sea Jazz Fest in Rotterdam – und aufregenden Sessions mit unterschiedlichsten, aber stets sehr jungen Musikern, wurde Jose James schnell zu einem Markennamen. Die Zusammenarbeit mit Dance-Künstlern, wie Flying Lotus und Basemanet Jaxx oder dem japanischen DJ Mitsu the Beats, aber auch neuzeitlichen Swing- und Modern-Jazzern, wie Nicola Conte und Timo Lassy, erweiterten seinen Horizont. Und längere Aufenthalte in musikalisch brodelnden Städten brachten ihm viele Credits in der Szene und beim Publikum, etwa in Tokyo, London, Barcelona oder auch Berlin, wo er mit dem Top-Act „Jazzanova“ im Studio war. Das dabei entstandene, wunderschöne Stück „Little Bird“ findet sich auf deren jüngstem Album „Of All The Things“.
Auf dem gerade erschienen, zweiten Jose James-Album „Blackmagic“ (2010 erschienen bei Brownswood Recordings) finden sich die Einflüsse und Erfahrungen dieser zwei Jahre wieder. „Ich bin gar nicht so auf Jazz fixiert. Wenn man mich nach meinem Lieblingssänger fragt, würde ich immer Marvin Gaye sagen, das ist mein Favorit“, sagt James in einem Interview mit dem Web-Sender soulculture.tv. „Man würde Marvin Gaye nicht als Jazz-Sänger beschreiben, aber er hat genau damit angefangen, hat ein Album mit Jazz-Standards und eines mit Nat King Cole-Songs aufgenommen.“ Und hat sich bekanntermaßen zu einem der besten Soul-Pop-Sänger aller Zeiten entwickelt. „Mein neues Album zeigt schon ein paar neue Seiten von mir“, sagt James. Zwar bleibt er bei den Aufnahmen seiner Arbeitsweise treu, die stets mit kleinen musikalischen Skizzen beginnt: drei Akkorde, ein Grundthema. „Ich begleite mich selbst am Piano und singe vor mich hin, daraus entsteht das Gerüst des Songs. Damit improvisieren wir zusammen, so entwickelt sich das Stück. So hat auch John Coltrane gearbeitet: Eine kleine Idee, die man immer und immer wiederholt, um daraus etwas wachsen zu lassen.“
Doch im Endergebnis bietet „Blackmagic“ 14 abwechslunsgreiche und stilistisch wechselnde Tracks, von denen sich manche, wie „Promise in Love“ oder „Lay You Down“, sehr stark den zeitgemäßen Neo-Soul-Schemata annähern, während andere mit verlangsamtem, groove-orientiertem Electro oder Dance eine sehr spannende Liaison eingehen. Dies alles wird gut angewärmt durch das absolut gelungene, fast hypnotische Eröffnungsstück „Code“, einer Art Slow-Jazz-Rap-Soul. Dazwischen der James-typische Lounge-Jazz mit Hip Hop-Appeal oder Soul-Atmosphäre, stets etwas anders intoniert, als man es von den Melodieführungen erwartet. Das Titelstück erinnert mit seinem schleichenden Groove und der führenden Gitarre atmosphärisch ein wenig an das alte Can-Stück „She brings the rain“, wobei ihm der scheinbar immer neben dem Beat her trabende Gesang eine ganz besondere Note verleiht. Die pointierten Instrumentierungen, die zurückhaltende Produktion, vor allem aber die Stilsicherheit von Jose James‘ gefühlvollem Gesang geben dem Album aber ein durchgängiges und wiedererkennbares Gepräge. Das trifft selbst für die Remixe zu, die sich auf Singles und EP‘s von James finden. Trotz aller verschachtelten, wummernden oder treibendes Dance-Beats tragen auch sie den Joses James-Stempel: seinen sanften aber eindringlichen, jazzigen und doch groove-betonten Gesang. „Ich will alle Musik vereinen, die ich liebe, Jazz, HipHop, Blues, Funk, Soul. Diesem Sound kommen wir jeden Tag ein Stück näher. Und ich gehe weiter.“
Anspieltipp zum neuen Album „Blackmagic“: Das Musikvideo zum fast hypnotischen Eröffnungssong „Code“:
Mit einem kompletten Orchester arbeiten, grosses musikalisches Kino abzuliefern, so etwas schwebt ihm vor. Und ein ganzes Album nur mit Interpretationen von John Coltrane-Tunes. Beides traut man ihm angesichts der arrangeuristischen Reife von „Blackmagic“ ohne Weiteres zu.
Zunächst ist Jose James mit den Songs seines aktuellen Albums „Blackmagic“ Live auf der Bühne zu erleben. Er kommt mit einem Quartett, das eigentlich ein Trio ist, bestehend aus Schlagzeug, Bass und Keyboards plus einem Gast-Sänger. Nach allem, was sich Fans und Zuschauer so im Web austauschen, ist musikalische Premium-Qualität zu erwarten: echte, handgemachte Live-Musik mit einem inspririerten und inspirierenden Sänger. „Mein Gesang ist sehr auf Improvisationen aufgebaut und diese sind immer sehr rhythmisch, das ist meine Stärke“, beurteilt James sich für den Fernsehsender arte selbst. Darauf gilt es sich also zu freuen – ob nun als eher puristischer Jazz-Freund, als Soul-Dancefloor-Gourmet oder musikalisch offener Geist. „Mir geht es um einen Handschlag zwischen den verschiedenen Musik-Liebhabern. Am Ende haben sie alle gleiche Geschmäcker, das will ich ihnen vor Augen führen.“
Jose James spielt an folgenden Tagen live in Deutschland und tourt dann weiter durch Europa.
11. März: Frankfurt/Main, Sinkkasten
12. März: Munich, Ampere
14. März: Berlin, Lido
15. März: Köln, Luxor
16. März: Hamburg, Stage