Den E-Mail-Provider wechseln, Social Media Konten auflösen und neu sichern, von einer Cloud in die andere migrieren: Beim Umziehen im Digitalen helfen „Die Datenträger“
„Hey, der Umzugs-Job ist verschoben, und zwar auf morgen. OK, das ist minus 14 Tage, sorry – kannste trotzdem kommen?“ Sie klang hektisch, unter Druck. „Hm, ja, gut, passt schon“, antwortete ich. „Aber wieso … ?“ Sie stöhnte genervt auf. „Mann, Mann, kriegst Du gar nichts mit? ‘Farm-Alarm‘, Alter, informier Dich! Ach, und bring ’ne fette Platte mit. End if“, lautete Ihre typische Verabschiedung – Programmierer-Humor – und das Gespräch war beendet.
Auflösung von Facebook-Konten: Genau das Richtige, um Routine zu bekommen
Mir war klar, dass es kein ‘normaler‘ Umzug sein würde, so einen schaffte sie in der Regel allein. Als sie vor einiger Zeit mit ihrem Solo-Startup ins Geschäft der sogenannten „Datenträger“ einstieg, hatte sie zwar zunächst nur Kleinaufträge übernommen. Etwa die Auflösung und Migration eines privaten, höchstens zwei- bis dreijährigen Facebook-Kontos, inklusive Export, Transport und Import sämtlicher Einträge, Teilungen und Kommentare sowie der Profil-Daten in ein neues soziales Netzwerk, alles passgerecht in die dortigen Strukturen verfrachtet; dazu die Konfiguration sämtlicher Sicherheits-, Privatsphäre- und Sichtbarkeits-Einstellungen. Kurzum: Die besenreine Säuberung beim bisherigen Social Media Netzwerk und die schlüsselfertige Einrichtung in einem neuen, und das innerhalb von 12 Stunden. Nichts besonderes, eigentlich. Aber angesichts der damals schnell anschwillenden Nachfrage bei Facebook-Nutzern nach Wegzug und Umzug – heute bekannt als „FacebooXodus“ – genau das Richtige, um Routine zu bekommen.
Sie platzierte mich in einem eigenartig leeren Raum. Stand hier zuletzt nicht noch mehr rum? An einem langen und ziemlich klapprigen Tapeziertisch saßen zwei Jungs, völlig vertieft vor ihren Kisten, ganz klar im Tunnel. „Das E-Mail Team“, sagte sie. E-Mail-Accounts umziehen, das war in ihrem Geschäft so etwas wie einst der Ummeldeservice von Post oder Telekom und Drittanbietern. Kiki-Kram, aber den nahm sie halt so mit. „In den E-Mailssteckt ja eigentlich die wahre Chronik der Menschen“, sagte sie mal, daher würde die E-Mail-Umzieherei als Basis-Geschäft immer funktionieren. Etwas Mühe machte es, die ganzen Nutzer-Konten zu finden, bei denen sich die Kunden mit ihren jeweiligen E-Mail-Adressen im Laufe der Zeit angemeldet hatten. Zu viele setzten die betriebssysteminternen „Schlüsselbund“-Anwendungen nicht ein. Deswegen muss sie dann alle Spuren rekonstruieren – mit den richtigen Werkzeugen keine große Sache.
Solche Werkzeuge entwickelte sie nach und nach selbst – und überlegte dabei hin und wieder, daraus eine Daten-Umzugs-App zu machen. Nicht so wie diese Umzugshelfer-Apps von anno dunnemals, die gerade einmal das Umzugsgut auf Karton-Mengen umrechneten. Stattdessen wollte sie echte Funktionalitäten für den verlässlichen Daten-Umzug bieten: Alte E-Mail-Adresse eingeben, neue E-Mail-Adresse eingeben, Zugriff auf Festplatte erlauben, rödel, rödel, rödel, und dann erfolgen die automatischen Ummeldungen, samt Bestätigungsmail abnicken und so weiter. Doch sie hat das verworfen: erstens versaute dies wohl ihren eigenen Markt, sagte sie, zweitens trauten die Menschen einer App am Ende doch weniger als einem Menschen. Und auf Vertrauen und Diskretion komme es in Ihrem Geschäft mindestens genau so an, wie auf technische Kompetenz und Ergebnisorientierung. Genau das ist ihre Art, in einer Mischung aus Anwältin und Haushälterin, aus Danni Lowinski und Berta von Two and a half men: jovial, schnodderig, aber zuverlässig.
„Mir sind ja Provider-Umzüge viel lieber“, sagte sie
„Facebook und Instagram, Flickr und Pinterest, Twitter und tumblr, die sind alle schnell geräumt.“ Sie stand am Fenster und schaute nach unten. „Das ist so, wie mit einem Lieferwagen“, der ist schnell voll geladen und auch schnell wieder ausgeladen, kein Ding“. Nervig sei dieser leidige Schriftverkehr hinterher, um Facebook oder google wirklich zu Herausgabe und Löschen der Daten zu bewegen. „Du glaubst ja gar nicht, mit was für Anwalts-Schreiben man denen … “ „Doch, glaube ich sofort“, kürzte ich ihren, mir nur allzu bekannten Diss-Rap über die zwei Internet-Supermächte ab. Das E-Mail-Team zeigte eine Regung und gluckste synchron. „Mir sind ja Provider-Umzüge viel lieber“, sagte sie. „So ein kombinierter DSL-Webmail-Baukasten-Homepage-Account, vielleicht noch ‘n paar Blogs mit drauf: Da hängt einiges dran, da ist was drauf, da kann dann schon mal der 7,5 Tonner fällig sein, das dauert, das macht Spaß. Und die Provider sind vergleichsweise pflegeleicht.“ Sie schaute wieder runter und nickte plötzlich zufrieden. Kurzerhand stöpselte sie meinen Laptop ans Netz, installierte schnell zwei, drei Software-Werkzeuge. Ich holte die geforderte Festplatte hervor. „Zwei Terrabyte? Das nennst Du fett?!“ Ich ahnte es, sie ist nie zufrieden. Sie grinste: „War nur‘n Scherz. Zwei Terrabyte sollten gut reichen, Du kümmerst Dich ja nur um diese beiden Clouds hier.“ In der Tat. Ein erster Check und ich sah, dass zusammen nicht mal 400 Gigabyte umzuziehen waren. Und für das bisschen sollte ich hier extra antanzen, zudem noch so früh? Naja, sie wird schon ihre Gründe haben …
Das Cloud-Geschäft war ihr Durchbruch. Ein Umzug mit den eigenen Daten von einem Cloud-Dienst zum nächsten hört sich vielleicht trivial an. Und manche Anbieter werben damit, dass sie sich um alles kümmern, sofern sie Zugriff haben, so ähnlich wie Banken bei einem Wechsel des Girokontos. Aber ein solches Angebot bestimmter Cloud-Provider nutzen heutzutage nur noch ganz Wagemutige. So preiswert die Supermarkt- und Discounter-Clouds auch sind, dahinter stecken meist Billig-Anbieter mit Schrott-Servern und ohne echte Ahnung. Die lassen bei einem Cloud-Umzug irgendwelche Bots ran, die prompt die Hälfte der Daten im Hyperraum verlieren – natürlich ohne vernünftige Absicherung. Daten futsch, Werte futsch, und Regress ist bei derartigen Dumping-Preisen eh kein Thema. Also: dumm gelaufen. Bittere Datenverluste machten schnell die Runde, seitdem sind „Personal Cloud Mover“ das Geschäft der Stunde, in der CloudUser-Szene als „Datenträger“ bekannt. So wie einst die Kistenschlepper bei „echten“ Umzügen, nur digital. „Wer will schon noch schwere Umzugskartons tragen?“, rezitierte sie ihr Credo aus den Anfangszeiten ihrer Unternehmung, in das ich – und das E-Mail-Team – gerne lachend einstimmten.
„Und was ist jetzt mit diesem ‘Farm-Alarm‘?“
„Und was ist jetzt mit diesem ‘Farm-Alarm‘?“, fragte ich sie. „Oh, übel, richtig übel“, fuchtelte sie übertrieben deutlich mit den Armen herum. „Da ist an der Ostküste eine Server-Farm durch einen Blizzard abgeschmiert, aber so richtig. Hauptstrom weg, Notstromaggregate leer, alle Strassen völlig verschneit, kein Service nirgends, Ende Gelände. Deren Spiegel-Farm läuft mehr schlecht als recht. Und dass die Serverfarm am Polarkreis in Schweden auf Grund eines fiesen Hacks seit Tagen offline ist, musst Du doch wissen, die News sind voll davon. Wir müssen unsere Kunden beruhigen, Daten retten, wo es geht.“ Das E-Mail-Team veränderte seine Sitzposition, grunzte scheinbar schadenfroh in sich hinein.
„Äh, Moment, welche News jetzt … ?“, antwortete ich, „in meiner Twitter-Timeline las ich nichts von Serverfarm- … “, sie unterbrach mich: „ … da kannst Du mal sehen, was für lahmen, Scoop-fernen Weiterreichern du so folgst … aber, ist schon gut. Häng‘ Deine Platte hier ran, starte unseren ‘Cloudbuster‘ und entspanne Dich. Es dauert einige Minuten, bis Du eingreifen musst. Hier die Account- und Passwortdaten.“ Offenbar war es ein stinknormaler Privat-Account. Familienfotos, bisschen Musik, Filmchen, Bücher, so Media-Zeugs, ein paar Office-Dateien. Bestimmt zu Hause ohnehin doppelt gesichert. Aber die Leute da draußen haben schon seit längerem geradezu irrationalen Schiss um ihre Daten. Ist doch gut für ihr Geschäft, dachte ich, und schaute zu ihr rüber. Sie stand schon wieder am Fenster.
„Die wollen mit all ihren Daten auf dieses neue Allround-Netzwerk der öffentlich-rechtlichen, äh, GEZnet, oder so ähnlich“
Sie bemerkte meinen fragenden Blick und sagte: „Ich habe vor kurzem massenhaft dicke Aufträge von so Medienfuzzis reinbekommen. Die haben ihren „Magazin“- und „News“-Krempel auf x verschiedene Clouds verteilt, alles so Spielzeug-Server, aber sie müssen angeblich überall sparen. Jetzt wollen sie dennoch wechseln – und mit all ihren Daten von Facebook, Google, YouTube und Instagram gleichzeitig auf dieses neue Allround-Netzwerk der öffentlich-rechtlichen, äh, GEZnet, oder so ähnlich. Ob das was taugt, dazu sage ich jetzt lieber nichts. Jedenfalls muss ich deswegen eben Dich einspannen – und andere dazu.“ Ding Dong. Wie auf‘s Stichwort klingelte es an der Tür und ein Trio, alles Frauen, mit großen Laptops unterm Arm, kamen gut gelaunt hereinspaziert, winkten uns zu und setzten sich im Schneidersitz auf Kissen am Fußboden, legten sofort los. „Meine Task Force. Die waren gestern schon hier und haben innerhalb von zehn Stunden 25 Google-Accounts komplett ins GEZnet gerockt. Ihr wart super, Mädels!“
Kaum fingen sie an, mit schnellen Fingern und vergnügtem Kichern ihre Tastaturen zu bearbeiten, war ich im Prinzip fertig. Und nun? Irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl. „Na, bitte, so habe ich mir das gedacht“, freute sie sich. „Komm mal mit zum Fenster. Siehste da unten den Lieferwagen. Und daneben Fred und Werner?“ Ja, sah ich. Fred und Werner winkten – in Blaumännern und mit Arbeitshandschuhen. „Gut, dann komm‘ mal mit.“ Im Nebenzimmer türmten sich etwa 40 Umzugskartons, diverse Kisten mit Computerzeugs, von Monitor bis Drucker. „Wir expandieren! Und deshalb ziehen wir in ein neues Büro um. Heute! Du hast doch bei mir noch ein paar Stunden offen, stimmt‘s?“
Von wegen Blizzard, von wegen Farm-Alarm – sie hatte mich reingelegt. Mit dem, in ihrem Geschäft uralten „Umzug“-Teekesselchen-Trick. Na.toll.
Aber, ich hatt‘s ja versprochen.
Hau, ruck!
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