10 Hinweise für Konferenzveranstalter

Konferenzen gehören zum beruflichen Alltag. An Konferenzen teilnehmen ist Arbeit, beim Zuhören genau so wie beim Begegnen. Anlässlich der Typo Berlin 2011, aber in der Erkenntnis-Summe von etwa drei Dutzend Konferenzen, die ich in den vergangen zwölf Monaten besuchte, entstanden die folgenden 10 Hinweise an Konferenz-Veranstalter, gnadenlos aus der Besucher-Perspektive geschrieben:

1. GROSSE BADGES

Zuerst irritierten mich die fast A6-großen Badges der TEDxBerlin 2010 etwas. Doch zwei Kaffeepausen-Gespräche später später war ich überzeugt: Den Namen in großer 30+Punkt-Schrift lesen zu können, ist richtig praktisch. Man muss sich nicht vornüber beugen und peinlichst vor dem Revers des Gegenübers rumkneisten, wie bei den üblichen, A8-kleinen Schildchen. Und die (noch) ungewöhnliche Größe von Badge und Buchstaben wäre ja nur protzig, wenn man der Einzige damit wäre.

2. STROM FÜR ALLE

Ausreichend Stromanschlüsse für alle Plätze – das ist sooo selten, aber wäre sooo hilfreich. Immer mehr Teilnehmer kommen mit Laptops, um digital mitzuschreiben, zu bloggen – und nicht jeder hat Marathon-Akkus am Bord. Gut, mag sein, dass mehr und mehr Besucher ihre iPads und Tablets mitbringen, denen man ja längeres Durchhaltevermögen nachsagt (also, den Geräten). Doch für eine ganze Weile von schätzungsweise zwei bis vier Jahren sind Steckdosen am Platze die richtige Idee, wie etwa diese hier, im Harnack-Haus in Berlin-Dahlem:

3. WLAN OHNE HÜRDEN

Viel zu oft noch gestaltet sich der Zugang ins Konferenz-WlLAN wie die Suche nach dem heiligen Online-Gral. Kryptische Passwörter als Bückware am Info-Counter, doppelte und dreifache Anmeldungs-Prozeduren, dazu eine ausreichende Signalstärke nur in den Foyers, aber nicht im Saal … herrjeh. Bei der TypoBerlin im Haus der Kulturen war das alles kaum ein Problem: Drinnen im Haus war auch drinnen im Netz. Dass die Bandbreite bei rund 1500 gleichzeitig anwesenden Teilnehmern mitunter in die Knie geht, lässt sich gewiss erklären, bleibt aber für den Einzelnen und für den jeweiligen Moment ärgerlich.

4. SITZKOMFORT

Man mag es angesichts so mancher Teilnehmerbeiträge im vierstelligen Euro-Bereich kaum glauben, aber die RyanAir-isierung des Konferenz-Geschäfts findet statt: Da schieben die Veranstalter Klappstühle aus Holz oder nicht weniger peinigende Plastik-Modelle so eng aneinander, dass die Nachbarn den Klinsi-Friedrich-Effekt kennenlernen „Der spürt Deinen Atem, Arne, der spürt Deinen Atem!“ Konferenzen ziehen sich, da möchte man  bequem sitzen, wie etwa im Haus der Kulturen der Welt – Beinfreiheit und Sitzkomfort machen einen guten Teil der angenehmen Atmosphäre der TypoBerlin aus.

5. VITAL-CATERING

Nein, die ewig währende Kantinen-Diskussion um die Qualität von warmen Essen, die fange ich hier gar nicht erst an – die ist müßig. Essen ist und bleibt immer eine Geschmacks- und Toleranzfrage. Es ist zudem zu bedenken, dass bei Konferenzen binnen kürzester Mittagspausen-Zeit hunderte, ja tausende Teilnehmer-Mägen zu füllen sind, und das kann man mehr oder weniger gut machen, und gewiss auch mal verhunzen. Viel entscheidender ist meines Erachtens die ausreichende Versorgung mit Wasser, Vitaminspendern, Wachhaltern und kleinen Snacks über den Tag. Das ist keine Frage des Budgets, sondern braucht nur etwas Fantasie – und vielleicht auch passende Sponsoren. Obsthäppchen und Säfte, richtig guter Kaffee/Espresso, vitalisierendes Fingerfood und proppere Müsli-Riegel, und das in allen Pausen – je pfiffiger die Abweichungen vom üblichen Schnittchen-/Küchlein-Einerlei sind, desto eher legt man dafür auch gerne ’ne Münze auf den Pausentisch.

6. RAUM-ATMOSPHÄRE GESTALTEN

Der von den allermeisten Veranstaltern unterschätzte und daher vernachlässigte Aspekt ist die Atmosphäre in den Sälen UND in den Foyers. Zunächst die Säle: Üppige Blumensträuße am Bühnenrand des Hauptsaals machen sich hübsch, sehen meist beliebig aus – und sind oft das Maximum an Bemühungen um Raumgestaltung. Jede Bühne jeder Konferenz sollte einem Konzept folgen – schließlich blicken die Teilnehmer viele Stunden darauf, mitunter mehrere Tage. Um das in den Werbematerialien entwickelte Konferenzdesign in den dreidimensionalen Raum zu überführen, dafür gibt es Bühnenbauer, Setdesigner. Auch hier lieferte die TypoBerlin 2011 ein schönes Beispiel, mit der programmatischen Leiter, die im Hauptsaal am rechten Bühnenrand zum Hinaufsteigen, zur Standpunkt-„Erhöhung“ einlud – dem Konferenz-Motto „Shift“ folgend.

Nun zu den Foyers: Bei einem Special Event der Deutschen Post platzierten die Veranstalter auf jedem Tisch ein kleines Blütenarrangement – in Postgelb. Dezent, aber wirkungsvoll. Nun, es müssen aber nicht immer Pflanzen sein, auch wohfeil ausgesuchte oder gewissenhaft gestaltete Deko auf Tischen, an Wänden, bei den Countern oder in Service-Räumen schmeicheln das Auge, lassen den gründlich zu Werke gehenden Gastgeber erkennen.

Wenn Tischkarten, Programmhefte oder Tagungsunterlagen der Designlinie des Events folgen, mag das manchen Veranstaltern als überflüssige Mühe vorkommen, die das parlierende Konferenzvolk eh nicht goutiert – doch weit gefehlt: Augenwinkel-Wahrnehmung und Unterbewusstein reagieren durchaus auf gut austarierte Subtilitäten – mit Wohlbefinden, das mich lockert, das mich öffnet.

Diese Raum-Atmosphäre zusätzlich mit Musik zu beeinflussen, die in den Pausen und vor allem in Foyers und Begenungsräumen läuft, das mögen manche als schmockigen Event-Aperçu belächeln. Ich dagegen erkenne darin eine Art ganzheitlicher Denke des Veranstalters. Natürlich darf die Beschallung nicht  – wie beim Frisör oder im Ärzte-Wartezimmer – die örtliche Mainstream-Radiostation sein. Besser ist eine wohlfeile Auswahl, die einer Idee folgt. Den „Event-Soundtrack“ sogar extra komponieren zu lassen, das kenne ich bisher nur von der TypoBerlin. Unabhängig davon, ob mir die Musik dann (immer) persönlich gefällt, ist diese Aufmerksamkeit des Veranstalters für die akustische Aura seiner Konferenz aus meiner Sicht gar nicht hoch genug zu bewerten, als ein weiteres wichtiges Qualitätsparameter.

7. PRÄSENTATIONSTECHNIK WEGZAUBERN

Kurz und knapp: Beamer und Soundanlage, Mikrofone und Referenten-Monitore, das muss alles so elegant funktionieren und beherrscht sein, dass Zuhörer und Protagonisten nach wenigen Minuten vergessen, dass überhaupt Technik im Spiel ist. Punkt. Leicht gesagt, doch mit ordentlichem Equipment und guter Vorbereitung zu erreichen. Eben nicht nur ein zwar versierter, aber einsamer Haustechniker, der zwischen Ansteckmikro anfummeln, Monitor- und Saal-Klang am Mischpult auspegeln und in letzter Minute die Powerpoint-Datei vom Stick überspielen früher oder später die Kontrolle verlieren muss. Sondern ein Team. Eben nicht das Vertrauen auf leutselige „bei mir hat das bisher immer alles geklappt“-Referenten, deren Notebook dann überraschenderweise doch rumzickt. Sondern zeitiges prüfen und generalproben. Auch bei den vermeintlich professionellsten aller Profis. Und immer Ersatztechnik vorhalten, und immer auf alles vorbereitet sein, und dennoch immer unsichtbar bleiben. Gute Konferenztechniker sind Zauberer.

8. REFERENTEN REDAKTIONELL BETREUEN

Jedes Publikum zu jedem Thema merkt, wenn ein Referent nicht ausreichend vom Veranstalter gebrieft wurde: Die einen segeln munter am Panel-Thema vorbei oder kommentieren zahlreiche Folien ihrer Standard-Präsentation mit „das-wurde-ja-schon-gesagt“- oder „das-überspringe-ich-jetzt-mal“-Floskeln. Andere malträtieren mit altbekannten Marktforschungs-Charts. Und viel zu viele zeigen gar nichts außer ihre wirren Gedanken zum Thema, hektisch in die Folien gehackt, ohne Rücksicht auf die gefürchtete Spiegelstrich-Inflation. Ganz klar: Diese Referenten überliess der Veranstalter sich selbs. Sie redaktionell zu betreuen heisst, das Vortrags-Thema nicht auf Zuruf abzuhaken, sondern durchzusprechen; Hilfen bei der Visualisierung anzubieten oder auch zu gebieten – mitunter auch zum Verzicht auf jegliche Bilder und Charts und zu freier Rede raten; auf Dramaturgie und Timing achten oder bestimmend darauf einwirken – bei jeder einzelnen Präsentation ebenso wie bei einem Programmblock. Konferenzen sind ein Format, Programmblöcke sind Rubriken. Erfahrene Veranstalter integrieren „Ressortleiter“ und redaktionelle Denke. Sie buchen Referenten nicht nur, sie betreuen sie.

9. ROUNDTABLES KLEIN HALTEN

Ein „Roundtable“ soll die thematische Breite der Veranstaltung darstellen, man will Unterstützern gerecht werden oder sich mit möglichst vielen großen Namen aufwerten. Doch fünf, sechs, sieben oder mehr Personen neben einem Moderator auf der Talk-Bühne? Das wird in aller Regel nichts, was dem Publikum und auch den „Panelisten“ wirklich etwas bringt, außer vielleicht Kurzweil und Promi-Bestaune. Meist sondert jeder sein  Statement ab – ob gefragt oder passend oder zu lang oder zu kurz oder auch komplett daneben. Der Moderator, dem Grundsatz der Redezeit-Parität verpflichtet, versucht inhaltlich zusammenzuüberleiten, was ab Person Nummer vier kaum noch zusammenzuhalten ist. OK, als „Get-in-touch“-Schaulaufen oder für das Pressefoto mögen solche Elefanten-Runden was hergeben, doch inhaltlicher Mehrwert bleibt in der Regel aus. Sinnstiftend erörtern, konstruktiv debattieren oder erkenntnisreich streiten lässt sich am besten mit zwei oder drei Panelisten, eine gute redaktionelle Vorbereitung mit dem oder sogar durch den Moderator vorausgesetzt.

10. DOKUMENTATION VERECHTZEITIGEN

Das „Handout“, die Konferenz-Dokumentation war immer das Sorgenkind des Konferenzgeschäfts. Kurze, textliche „Abrisse“ der Referenten, die oft nicht dem gesprochenen Wort entsprechen, haben den Nutzwert eines Klappentext eines Buches. Abgefilmte Vorträge in voller Länge hingegen sind in der Summe zu viel, das gefragte „Handout“ soll gefälligst zusammenfassen.

Was aber liegt zwischen Abriss und Video – und was will man als Konferenz-Besucher/-Interessent überhaupt?

Dicke gedruckte Buchbände mit jedem Vortrag als ausführlichen, sogar lektorierten Text? Das machen nur noch Wissenschaftler, weil die Währung „Publikationen“ in Forschung und Lehre noch immer die stabilste ist. Die Präsentationen als rohe PowerPoint-Dateien? Die sind ohne das Gesagte unzugänglich bis unzumutbar.

Oder sollte ein Veranstalter, der seine Konferenz von den Inhalten her als redaktionelle Leistung betrachtet (siehe Punkt 8), bei der Dokumentation gar verlegerische Maßstäbe anlegen? Also redaktionelle, ja, magazinige Aufbereitung des Präsentierten, im Sinne von Artikeln, Berichten, Reportagen, Fetaures, Interviews, Roundtable-Gespächen; in der Form wechselnd, infografisch visualisiert und mit reichlich Querbezügen und Quellenhinweisen … hm, könnte gut aussehen, käme bei vielen bestimmt gut an – macht aber viel Arbeit, selbst wenn man dafür kein Papier bedruckt sondern allenfalls ePaper- oder Webseiten gestaltet.

Vor allem aber hätte eine solche publizistische Dokumentation eines der zwei folgenden Probleme: Sie würde, wenn vorproduziert, stark bis sehr stark vom tatsächlich Geschehenen abweichen. Oder sie käme zeitlich (viel) zu weit nach dem (schon fast vergessenen) Event. Nein, mir scheint, das ist alles 90er, das ist alles vorbei; wir leben im Zeitalter der Echtzeit.

Bei einer Konferenz ist stets das „dabei sein“, das eigene Erleben wichtig. Wer inhaltlich wirklich was mitnehmen will, macht sich Notizen. Und wer dazu was beitragen will der twittert und postet, entsprechend verschlagwortet, hinein in die Communities, ob nun innerhalb oder auch ausserhalb der Konferenzräume. Und siehe da, weil dies mittlerweile viele so machen, entsteht hier ein Wahrnehmungs-, Meinungs- und Diskussionsgewure rund um die Vorträge, Panels und Events, das facettenreich mitteilt, was gerade passiert und was es bewirkt und wie es bewertet wird.

Na gut, lesen und durchdringen muss diesen üppigen Wörter-Schwall jeder selbst – das könnte vielen zu mühsam sein. Klinkt sich hierbei das Veranstaltungsteam selbst ein und leistet (sich) eigene Notizen, redaktionelle Zusammenfassungen und dynamisches „Guiding“ durch die Begleitkommunikation seiner Teilnehmer  – natürlich in Echtzeit – ist das ein hybrides, nützliches Dokumentieren auf moderne Art.  Es braucht dazu eigentlich nur gute Vorgaben, wie einheitliche „Hashtags“, viel Aufmerksamkeit und Engagement für diese Vorgänge. Unter anderem bei der Typo Berlin 2011 war das mit Blog, Twitter- und Flickr-Kanälen genau so – und es war positiv beeindruckend.

Für einen journalistischen Konferenz-Berichterstatter, wie mich, ist diese moderne, echtzeitige und rasante Begleit-Kommunikations-Diskussions-Dokumentation ein Stück weit „entwaffnend“. Aber das ist ein anderes Thema.

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