Über 200 eingereichte Kampagnen-Ideen, die eine engagierte Community in rund vier Wochen mit über 15.000 Kommentaren kollaborativ diskutiert und optimiert – diese Bilanz zieht die Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) zu einem Kreativ-Wettbewerb, durchgeführt für den World Wide Fund For Nature (WWF) und mit Hilfe von Jovoto (jovoto). Ob Jovoto mit solchen, auf „Crowdsourcing“-Prinzipien setzenden Wettbewerben den Agenturen das Geschäft verdirbt, ist nicht unumstritten. Im Falle des diskursiven WWF-Wettbewerbs wohl eher nicht, sagen Beteiligte.
Die Überfischung der europäischen und weltweiten Gewässer ist dem World Wildlife Fund (WWF) in diesem Jahr ein besonderes Anliegen. Noch bis 2012 widmet sich die international operierende Naturschutz-Organisation schwerpunktmässig der Fischerei-Problematik. „Alarmierende Notstände“ herrschten bei den Fischbeständen, so der WWF. Einzelnen Fischarten, wie dem Blauflossenthunfisch, drohe die lokale Ausrottung. Und weil die EU im Jahr 2013 ein neues Fischereigesetz erlassen will, wirkt der 1961 in der Schweiz gegründete WWF bis ins nächste Jahr darauf hin, in dieses Gesetz ein nachhaltiges und ökologisches Ressourcen-Management zu verankern: Mit breit angelegten Kampagnen, die sich über moderne Kommunikations-Wege erstrecken, wie etwa Social Networks, und somit auch junge Zielgruppen erreichen sollen, um sie für die Überfischung zu sensibilisieren.
Um dafür Bildsprache und Tonalität zu finden, entschied sich der WWF, in diese Zielgruppen direkt hineinzuhorchen: Mit einem sogenannten „Kreativwettbewerb für angehende Medienmanager, Journalisten, Designer und Filmschaffende“. Sie alle sollten Kampagnen-Ideen entwickeln, die das Thema Fischerei und Meere in der Öffentlichkeit wirkungsvoll kommunizieren. Unentgeltlich, wohlgemerkt, lediglich den Gewinnern der vom WWF ausgelobten Preise winken drei-vierstellige Geldprämien.
Mit der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) sowie der Web-Plattform Jovoto (www.jovoto.com) fand der WWF Deutschland (www.wwf.de) zwei Partner, die ihn zum einen an Studierende, Nachwuchs-Kräfte und Kreativ-Branchen heranführten, und zum anderen über ein leistungsfähiges Werkzeug verfügen, um den Wettbewerb nicht nur bekannt, sondern auch attraktiv zu machen, und ihn zudem organisatorisch abzuwickeln.
Der MHMK-Anspruch: Studierende an ein offenes, kollaboratives Arbeiten heranführen
Die MHMK sieht sich als führende deutsche Privathochschule im Feld der Medienausbildungen. Neben Bachelor-Studiengängen für Medienmanagement, Mediendesign und Journalismus bietet die MHMK auch Master-Studiengänge, momentan sind bundesweit 1.700 Studenten eingeschrieben. Zu den derzeit fünf Standorten der im Jahr 2006 gegründeten Hochschule gehört seit 2009 auch Berlin(-Kreuzberg) mit rund 80 Studierenden, wobei dort der Fachbereich Mediendesign noch im Aufbau ist; dann sollen es dort bald 150 Studierende sein.
Sie bilde, so der selbst formulierte Anspruch der MHMK, „die Medienmacher von morgen aus. Medienmacher, die Verantwortung übernehmen wollen … und die mit umfassender Kompetenz und Persönlichkeit die Medienlandschaft der nahen Zukunft prägen.“ Zu ihrem didaktischen Konzept gehöre auch, die Studierenden an ein offenes, kollaboratives Arbeiten heranzuführen und sie zur Arbeit an eigenständigen Projekten zu motivieren. Aha.
Denn „kollaborativ“ wiederum ist das wichtigste Merkmal für die in Berlin ansässige Web-Plattform Jovoto (www.jovoto.com). Gegründet 2006 aus dem Umfeld der Berliner Universität der Künste heraus, hat sich Jovoto zur Aufgabe gemacht, Wettbewerbe für Kommunikations- und Medienbranchen zu organisieren, digital und vernetzt, auf Web 2.0-Prinzipien basierend. Für die Bereitstellung der technischen Infrastrukturen, für die Betreuung und Abwicklung der Wettbewerbe verlangt jovoto von den Ausrichtern entsprechende Gebühren. Über jovoto hinaus gehende Nutzungsrechte der eingereichten Arbeiten liegen beim Ausrichter. Ob und in welcher Höhe die Wettbewerbe mit Preisen dotiert sind, liegt ebenfalls beim Ausrichter. Gleichwohl sind die Wettbewerbe in Verlauf und Ergebnissen komplett einsehbar. Mehr noch: die Einreichungen lassen sich von der Web-Öffentlichkeit auch mit einem Sterne-System bewerten, kommentieren und diskutieren.
Im rechnerischen Durchschnitt gab es etwa 75 Kommentare pro eingereichtem Entwurf – das entspricht in etwa einer intensiven Kolloquiums-Diskussion
Genau diese direkten Reflektionen und kollektiven Überarbeitungen – quasi in Echtzeit – hat die Beteiligten des WWF-Wettbewerbs positiv überrascht, in Qualität und Quantität. „Insgesamt hatten wir 215 Einreichungen von Entwürfen zum Thema, aus 23 Ländern auf fünf Kontinten“, so Mediendesign-Professor Nikolaus Böhning, Koordinator des Wettbewerbes auf Seiten der MHMK.
Nikolaus Böhning, Diplom-Designer und Professor für Mediendesign an der MHMK Berlin. Foto; MHMK Berlin
Besonders erfreulich sei gewesen, dass die Teilnehmer innerhalb kürzester Zeit Feedback auf ihre Ideen erhielten und sich gegenseitig anregten, einige Entwürfen seien aus diesem Prozess heraus geboren oder variiert worden. Böhning: „Insgesamt durften wir 28 Tage kreatives Powerplay mit über 15.000 Kommentaren im Community-Austausch erleben.“ Rein rechnerisch ergibt das im Durchschnitt 75 Kommentare pro Arbeit: Und das entspricht in etwa der intensiven Diskussion in einem zweitsündigen Kolloquium.
Über den virtuellen Ertrag eines offenen Ideen-Austauschs hinaus winkte den von der 14-köpfigen Jury bestimmten Gewinnern auch reales Preisgeld: In der Summe 2.500 Euro und 1.000 Euro für eine „verkaufte“ Idee. Zusätzlicher Gewinn sind womöglich erste oder weitere Reputationen in einer internationalen Kreativgemeinschaft. Erst recht, wenn die prämierten Entwürfe dann tatsächlich in die Meinungsbildungsarbeit des WWF einfliessen sollten. Darauf wollte sich Daniel Goliasch, Leiter Fisch-Kampagne beim WWF Deutschland, bei der Preisverleihung am 4.5. in der MHMK Berlin jedoch nicht festlegen: „Wir haben viele wirklich gute und direkt einsetzbare Ideen durch den Contest erhalten. Gleichwohl sollen unseren Kampagnen ebenso breit wie langfristig angelegt sein. Das erfordert die Berücksichtigung vieler unterschiedlicher Kanäle mit einer jeweils eigenen Dynamik, das müssen wir berücksichtigen“. Die allermeisten Einreichungen hätten sich auf bestimmte Kanäle und wenige Vorlagen beschränkt, da wäre noch sehr viel Arbeit zu leisten. Im Klartext: Die Umsetzung in echte Kampagnen dürfte für eine oder mehrere Agenturen noch zu Aufträgen führen, mit den Ergebnissen des Wettbewerbs im Briefing.
Was jovoto bietet, ragt in die professionellen Geschäftsfelder von Agenturen hinein
Ganz unproblematisch ist das auch als „Crowdsourcing“ bekannte Verfahren solcher offenen Wettbewerbe für Design-Professor Böhning dennoch nicht. Böhning ist selbst Inhaber einer Multimedia-Agentur, Bildbau in Potsdam. Er sieht eine Verlagerung der Kreativleistung „Ideen und Konzeption“ eher ambivalent: „Das ragt natürlich in unsere professionellen Geschäftsfelder hinein, denn Agenturen haben die Kompetenz für umfassende Lösungen. Andererseits ist klar, dass so ein Contest bei Studierenden und Berufseinsteigern großes Interesse weckt. Sie können sich und ihre Ideen, Fähigkeiten und Kompetenzen erstmals einer größeren Öffentlichkeit zeigen als nur Kommolitonen und Lehrkräften. Zudem bekommen sie auch internationales Feedback, können die eigene Arbeit als Teil eines kollaborativen Prozesses begreifen, der primär um der Sache Willen geführt wird. Das alles hilft ihnen, sich zu entwickeln und so können sie in den Branchen Aufmerksamkeit, ja, erste Einstiege finden.“
Für die Auftraggeber sei es verständlicherweise reizvoll, auf diese Weise Ideen, Ansätze, Konzeptionen nicht nur zu generieren sondern diese auch gleich diskutiert zu sehen, quasi direkt in den späteren Zielgruppen, so Böhning. Das sei vorgeschaltete Aufmerksamkeits- und Wirkungsforschung, und genau dafür würden die Firmen oder eben Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO‘s) wie der WWF bezahlen. Angesichts des gerade mal mittleren vierstelligen Euro-Betrags, den der WWF bezahlte – Preisgelder zuzüglich Gebühren an Jovoto – ist der Ertrag von über 200 Entwürfen und zahlreichen Entwurfsdiskussionen, wohl mehr als zufriedenstellend. Wie viel dieser Ertrag bei der eigentlichen Umsetzung der Kampagnen einspart, ist nur vage zu schätzen, doch der Input als solcher bestimmt sein Geld wert: „Insofern ist es wohl kaum aufzuhalten, dass mit offenen Wettbewerben auf Plattformen wie jovoto ein gewisser Teil des Agenturgeschäfts hin und wieder „in die Crowd“ verlagert wird“, so Böhning. Auch bildbau experimentiere auf diesem Feld und praktiziere mit Kunden in bestimmten Projekten diese Form der Ideenfindung, sagt der Agenturchef. Immerhin biete Jovoto seiner Meinung nach für alle Beteiligten sowohl faire Konditionen als auch transparente Regeln.
Für Jovoto selbst ging es bei dem WWF-Wettbewerb und die MHMK-Kooperation gewiss primär um eine Marketing-Wirkung. NGO‘s stehen in der Regel für eine gute Sache, haben grosses, engagiertes Publikum, in diesem Fall sogar weltweit, wie sich auch hier zeigte: Viele Teilnehmer kamen aus Lateinamerika. Damit kann sich jovoto also gut auf den internationalen Markt bewegen, ein Schritt, den die fünf Jahre existierende Plattform derzeit mit Macht voranzutreiben scheint. Mit einem kürzlich gestarteten, weltweit getragenen Wettbewerb ruft jovoto derzeit dazu auf, ein Logo für die Visualisierung der Menschenrechte in einem markanten Piktogramm oder Symbol zu schaffen. (Startseite mit bereits zahlreichen Einreichungen: http://humanrightslogo.net). Ob und wofür so ein Logo eigentlich gebraucht werden sollte, ist in der Agentur- und Designer-Szene umstritten. Vielleicht also gar nicht so schlecht, die Suche danach in „die Crowd“ zu geben. Für’s nächste globale „Kreativ-Powerplay“.
Wie MHMK und WWF jetzt wissen, kommen dabei mitunter verblüffend attraktive Ergebnisse heraus. Frische Impulse allemal.
Die Ergebnisse des Wettbewerbs bei jovoto:
http://www.jovoto.com/contests/wwf-mhmk/ideas
Die drei Hauptpreis-Gewinner:
1. Platz Community-Award
Title: „sea without soul“ – Maximilian Kraemer, Saarbrücken, Deutschland
1. Platz Studenten-Award (Bester MHMK-Student)
Title: „Pitt and Twitt“ – Tim Meiers, MHMK-Student aus Köln, Deutschland
Mediendesign-Professor Nikolaus Böhning von der MHMK Berlin überreicht Tim Meiers die Urkunde für den Studenten-Award (bester teilnehmender MHMK-Student) und gleichzeitig 3. Platz Over-All-Community-Sieger. Foto: MHMK Berlin (am 11.7.2013 gelöscht)
1. Platz Jurypreis
Title: „Save the ocean“ – Matias Planas, Graphic Designer aus Buenos Aires, Argentinien
4. Platz Community-Award
Title: „LISTEN!“
Team-Idee: Xavier Iturralde, Gye, Ecuador; Jesko Stoetzer, Berlin, Deutschland
5. Platz Community-Award
Title: „Save the Tunnas Diversitas“ – David van Stephold, Mediadesigner aus Köln, Deutschland
6. Platz Community-Award und Belobigung der Jury
Title: „in our hands“ – Jorge Garcia, Industrial Designer aus México, Mexiko
Belobigung der Jury
Title: „Think twice“ – Pedro Uzcátegui, Student aus Mérida, Venezuela
Mediendesign-Professor Nikolaus Böhning von der MHMK Berlin überreicht die Urkunden an die Sieger des Wettbewerbs. Personen von Links nach rechts: Tim Meiers, Prof. Nikolaus Böhning, Nadine Freischlad (Vertreterin von Jovoto), Daniel Goliasch (WWF), Prof. Dr. Friedrich-Carl Wachs (Prodekan der MHMK) und Prof. Dr. Holger Sievert (Studiengangleitung Medienmanagement MHMK). Foto: MHMK Berlin
WEITERE LINKS:
Informationen über den Wettbewerb auf der MHMK-Website
Website des WWF: http://www.wwf.de/
Das Briefing zum Wettbewerb bei jovoto: