Atari Teenage Riot: Rundum-Comeback mit Typo-Symbol

Mit ihrem Comeback haben wohl nicht viele gerechnet. Doch seit 2010 sind Atari Teenage Riot (ATR) wieder da: Neue Besetzung, neues Album, Live-Shows in aller Welt, Website- und Social Network-Aktivitäten sowie eine spezielle iPhone-App. Mit dabei – und präsenter denn je – das typografische Logo, eine Symbiose aus A, T und R mit der Anmutung eines japanischen Schriftzeichens und der Anlehnung an das Logo der Firma „Atari“.

„Atari“ war der Name einer 1972 in Kalifornien gegründeten Computer-Firma, die zu den Pionieren und einstigen Größen des (Video-)Spielkonsolen-Marktes zählte. Laut Wikipedia-Eintag zu Atari  entlehnten die beiden Gründer Nolan Bushnell und Ted Dabney den Begriff „Atari“ dem Wortschatz des japanischen Strategie-Brettspiels „Go“– und fügten später in das Firmen-Logo drei geschwungene Striche in Form des stilisierten japanischen Berges Fuji hinzu.

Die Atari-„Konsolen“ waren in den 70er und frühen 80er Jahren weit verbreitet und konnten sich auch Mitte der Achtziger – mittlerweile zu Computern für Heimanwender umpositioniert und weiter entwickelt – großer Beliebtheit erfreuen, wo sie für DTP und Multimedia zum Einsatz kamen. Für viele war Atari der Computer ihrer Kindheit, manche schrieben den preiswerten, aber insbesondere für Grafik und Animation leistungsfähigen PC’s ähnlichen Kultstatus zu wie den Apple-Geräten. Atari stand aber auch sinnbildlich für die Anfänge einer computerisierten Subkultur, für eine neuartige Jugend-Identität, für digitale Sozialisierung.

Ganz gewiss war daher bei der Gründung der Band 1992 der Name „Atari Teenage Riot“ zugleich ein Bekenntnis wie ein Slogan und im Wortsinn Programm: Musik mit Computern, Punk mit digitalen Instrumenten und synthetischen Sounds, Jugend-Aufstand mit elektronischen Mitteln und Werkzeugen.  Die erst drei- ab 1997 dann vierköpfige Band um Kopf und Vordenker Alec Empire inszenierte sich sehr kalkuliert als rotznasige musikalische Ausreisser-Kinder von Kraftwerk und Neuer Deutscher Welle, bewusst aufmüpfig, laut und wild, rappend, schreiend, Parolen skandierend; schnell, intensiv, frontal. So laut – lauter als Motörhead, heisst es; so fett – dass schon mal Boxen der Bühnen-PA platzten; so aggressiv – dass der rüde Electro-Pogo vor der Bühne mitunter in Krawall und (Beinahe-)Revolten umschlug; so radikal – die Abbildung von Schusswaffen oder  einem Albumtitel wie „Burn Berlin, Burn!“ als kalkulierte Provokation.

Vor dem heute von der Band genutzten Typo-Logo kam (anfangs) auch eine kalligrafisch anmutende Version zum Einsatz, in der die Lettern ATR weit mehr ineinander fliessen und mit skalpell-artigen Enden versehen sind; sieht beinahe aus wie ein gefährlich scharfes Wurfgeschoss.

In einer Variation wirkt das Ganze schon weit stilisierter und „buchstabiger“.

Später entstand dann die bis heute aktive Version, ergänzt durch zwei Linien, die (womöglich) den Horizont und die auf-/untergehende Sonne stilisieren. Das alles umschlossen von einem Kreis, zeigt sich das ATR-Logo als geschütztes Markenzeichen, worauf das integrierte ® hinweist.

Dieses offizielle ATR-Logo fehlt seitdem auf keiner Veröffentlichung, keinem Merchandise-Artikel.

Auch die Websites der Band arbeitet mit dem durchaus markanten und eigenständigen Symbol – sogar beim Browser-Favicon, obgleich die weiss-auf-schwarz-Version hierbei grenzwertig ist, die Linien und Lettern lassen sich nicht wirklich erkennen.

Neben dem Symbol pflegt Atari Teenage Riot noch den von zwei Parallelogrammen eingerahmten Schriftzug sowie die Buchstaben ATR, jeweils in fetten, kursiven Lettern gesetzt, als weitere Wort-Marken.

Der Affinität zu Jugend-Kultur, schwarzvermummten (= autonomen) Revolten und computerisierten Sounds und Ausdrucksweisen frönen Alec Empire/Atari Teenage Riot weiterhin. In einer breit angelegten Kampagne zur aktuellen Single-Auskopplung „Black Flags“ fordert de Band ihre Fans zum Basteln und Schwenken schwarzer Fahnen auf, sie solidarisiert, ja verbündet sich mit der Hackergruppe „Anonymus“. Das zum Song gehörige Video – Refrain: „Are You Ready To Testify?“ – inszeniert eine Art Volksaufstand gegen eine scheinbar übermächtige Polizeimacht.

Und auf einem T-Shirt fordert die Band, dass sich die Regierungen vom Gedanken irgendwelcher Internet-Kontrollen fernhalten sollen.

Aber zurück zum Symbol. Im Rahmen einer kürzlich erschienenen ATR-iPhone-App kommt das Logo zum einen als App-Icon zur Geltung und zum anderen als „Home“-Button, wenn dort auch einen Tick zu winzig für exakte Auflösung (links unten in den Screenshots der App).

Die App selbst ist vergleichsweise üppig bestückt, bislang sehr gut aktualisiert und durchaus informativ. Sie listet die neuesten Veröffentlichungen, doch Musik zum direkt reinhören beinhaltet sie nicht, dafür zahlreiche Videos (via YouTube), zu finden im Menü „More“, unterste Zeile.

Auf YouTube findet sich auch der Mitschnitt eines Konzertes am 1. Mai 1999 in Berlin-Kreuzberg, als während des Auftrittes von Atari Teenage Riot Krawalle ausbrachen und die Polizei mit ebenso massivem wie gewalttätigem Einsatz in die Menge stürmte – die Band aber weiter spielte und unter anderem „Fuck The Police“ skandierte. (Und genau an diese heftigen  Vorfälle knüpft die oben erwähnte „Black Flags“-Kampagne gedanklich an, was durchaus clever ist). Verständlich, dass so ein Dokument auf YouTube häufig angesehen wird (weit über 800.000 mal) – und gewiss auch seinen Teil zum vielzitierten „public demand“ beitrug, das Atari Teenage Riot offenbar zu einem Comeback beflügelte, mit dem Alec Empire und seine (neuen) Kollegen vielleicht selber gar nicht mehr rechneten.

„Ende der 90er Jahre war die Band eigentlich erledigt“, heisst es in der selbst verfassten Biografie (nachlesbar auf der Alec Empire-Website und in der ATR-App). Immer wieder Stress mit Veranstaltern und Ordnungskräften bei Konzerten aber auch angesichts des programmatischen Thematisierens von Aufstand, Widerstand und Staats- und Gegen-Gewalt, dazu ein musikertypisches „Rock’n’Roll“-Leben, das alles zehrte offenbar an den Kräften der Band und ihrer Mitglieder. Als dann im September 2001 das Gründungsmitglied Carl Crack starb und Mitgründerin Hanin Elias die Band verließ, versetzten die übrig gebliebenen Alec Empire und die 1997 hinzugekommene Nic Endo das Projekt praktisch in einen dauerhaften Ruhezustand; nach 2000 erschienen nur Best of-Alben und Compilations. Etwa die Sammlung „Redifine The Enemy“ – bei dem ein aus Totenkopf und Atari-Logo kombiniertes Symbol zum Artwork gehörte.

Dieser „Atari-Skull“ (mit ATR-Symbol auf der Stirn) ist auch auf der Website von Alec Empire zu sehen, als Buttons für die Auswahl von Sound-Snippets (rechts unten).

 

Vor dem ATR-Comeback – und nun nebenher – arbeitet(e) Empire unter anderem als international gefragter und renommierter Soundtrack-Komponist, Remixer und Produzent sowie an Solo-Projekten, zudem ist er mit DJ-Sets unterwegs.