Ranga Yogeshwar: Öffentlich-rechtliche Sendungen sollten frei zugänglich sein
Ranga Yogeshwar ist bekannt als Moderator und Redakteur der Sendungen „Quarks & Co.“ (WDR) und „Wissen vor Acht“ (ARD). Dem Wissenschaftsjournalisten liegt viel daran, dass das von ihm produzierte Material an Schulen und von Schülern offen zugänglich und nutzbar ist, kostenlos und werbefrei. Darüber sprach ich mit ihm für iRights.info am Rande der Konferenz „Zugang gestalten! – Mehr Verantwortung für das kulturelle Erbe“, bei der er als Referent auftrat. [Dieser Beitrag ist ein Crosspost von iRights.info vom 6.12.2013]
iRights.info: Gibt es für die von und mit Ihnen produzierten Sendungen systematische Archivierung und Zugang?
Ranga Yogeshwar: Die Sendung „Quarks & Co.“ ist jetzt 20 Jahre jung. Wir haben sehr früh dafür gesorgt, dass diese Sendungen neben ihrer Ausstrahlung zusätzlich genutzt werden können. So fertigten wir zu den einzelnen Sendungen Skripte an. Die waren kostenlos und wir versendeten sie per zugesandtem Rückumschlag an die Zuschauer. Zudem haben wir speziell etwas für Schulen aufbereitet. Das war, nähme man das Urheberrecht sehr genau, eigentlich gar nicht möglich.
Aber es wurde trotzdem getan, und das ist gut so: Meiner Ansicht nach sollte es auf eine solche, von einem öffentlich-rechtlichen Sender finanzierte Sendung Zugriff geben, weil sie dem Lernen und der Bildung dient. Es kamen übrigens häufig Verleger auf mich zu und wollten ein Quarks-Buch produzieren. Sie sagten: „Wenn wir das machen, dürft ihr nicht mehr die Skripte kostenlos versenden.“ Worauf ich ihnen absagte.
iRights.info: Was stellen Sie den Schulen konkret zur Verfügung?
Ranga Yogeshwar: Vor einigen Jahren entwickelten wir eine sogenannte Quarks-Box, die besteht aus einem Set von Aufnahmen – damals noch auf Videokassetten – sowie Unterrichtsmaterial und Skripten. Da wir sie an die Schulen verschenken, brauchen wir Sponsoren, die die Herstellungskosten der Kiste bezahlen, aber kein Mitspracherecht im inhaltlichen Sinne haben. Das war ein Spagat, aber er gelang und so statteten wir bisher über 3.000 Schulen in Nordrhein-Westfalen damit aus.
iRights.info: Können Sie das Ganze nun ins Internet verlagern?
Ranga Yogeshwar: Wir waren als erste Fernsehsendung des WDR überhaupt im Internet präsent, das war 1995. Und seitdem habe ich die Vision, dass man unsere Beiträge und Sendungen direkt und dauerhaft streamen kann.
iRights.info: Also ein Youtube-Kanal oder ähnliches?
Ranga Yogeshwar: Ja, auf solchen Plattformen haben wir schon vereinzelt Angebote. Sie finden vieles umsonst als Podcast, auch bei iTunes, da stehen wir seit vielen Jahren auf den ersten fünf Plätzen der Download-Charts. Dennoch ist die Sensibilität für digitale Verwertung, bedauerlicherweise, in vielen öffentlich-rechtlichen Sendern minimal ausgeprägt. Das hängt aber auch damit zusammen, dass an einem Großteil der produzierten Sendeminuten Rechte liegen, die die rundfunkrechtliche Verwertbarkeit auf Digitalkanälen erschweren oder verhindern. Somit schließt sich mitunter fast die ganze Sendung für Online-Mediatheken aus.
iRights.info: Das gilt auch für die Verwertung in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender?
Ranga Yogeshwar: Dort gab es ja zusätzlich den Konflikt mit kommerziellen Medienhäusern, welcher in den „Dreistufen-Test“ mündete. „Quarks & Co.” hatte in der ARD-Mediathek ein riesiges Archiv mit allen Sendungen. Doch wir waren gezwungen, einen Großteil davon zu depublizieren, also wieder vom Netz zu nehmen. Das muss man sich einmal vor Augen führen: Wir mussten etwas wieder wegnehmen, von dem wir wussten, dass es zwei Drittel der Leute gerne sehen wollen und mögen. Das war völlig absurd. Der Staat hat uns durch die Beschneidung der Internet-Aktivitäten ausgebremst und geschadet. Ich bin der Meinung, dass es im digitalen Zeitalter unbedingt unabhängige, gut recherchierte, werbefreie Zonen geben muss. Daher bin ich ein leidenschaftlicher Kämpfer dafür, die öffentlich-rechtlich produzierten Sendungen frei zugänglich zu haben. Das versuche ich nun über einen anderen Weg zu ermöglichen.
iRights.info: Wie sieht dieser Weg aus?
Ranga Yogeshwar: Ich bringe derzeit ein Projekt mit viel Energie voran, das ähnlich wie die Khan-Academy in den USA angelegt sein soll. Die Idee ist ein offenes Lern-Portal, bei dem junge Menschen schulrelevanten Stoff in frei zugänglichen Podcasts bekommen, werbefrei und kostenlos. Dort sollen unter anderem auch Lehrer, die talentiert sind, ihren Unterricht einbringen können.
iRights.info: Benutzen Sie dafür dann Ihre Sendungen?
Ranga Yogeshwar: Nein, es geht um Video-Tutorials, die nah an den Schulstoff angelehnt sind und zu dessen Vertiefung oder Wiederholung dienen. Wir haben in Deutschland inzwischen einen Nachhilfe-Markt mit einem Umsatzvolumen von über zwei Milliarden Euro. Von dessen Angeboten profitieren aber nur Kinder aus besser gestellten Haushalten.
Wir haben in Deutschland aber sehr viele Kinder, die aus ärmeren sozialen Schichten kommen und in gewisser Weise chancenlos sind, weil die Eltern es oft nicht erklären können und dort kein Geld für den Nachhilfe-Lehrer da ist. Im Resultat verlieren wir im Jahr etwa 50.000 Menschen ohne Abschluss, und ich finde, das darf keinen ruhig schlafen lassen. Meine Hoffnung ist, dass ich mit dieser Plattform ein bisschen helfen kann.
iRights.info: Sie produzieren dafür also extra Material?
Ranga Yogeshwar: Ja, und ich versuche, dieses Material dann mit Beiträgen aus unseren Sendungen zu kombinieren. Wir haben im WDR sehr viele Wissenschaftssendungen, die wesentlich aktueller sind, als das, was in veralteten Lehrbüchern steht. Und wir wissen aus ganz vielen Gesprächen, dass Lehrer unsere Sendungen sehr gerne im Unterricht nutzen. Mein Credo ist aber, dass es für junge Leute offen und werbefrei bleiben muss.
iRights.info: Treffen Sie damit nicht wieder auf die bereits angesprochenen rechtlichen Verwertungshürden?
Ranga Yogeshwar: Bei der Verwertbarkeits-Debatte ging es in den letzten Jahren immer nur um juristische Fragezeichen und Einschränkungen. Ich bin aber immer den Weg gegangen: Machen! Das heißt: Wenn in unserem Fall einer klagt, dann müssten wir es selber sein, also der Sender. Und wenn wir nicht klagen? Ich finde, es geht darum, eine Schüler-Generation nach der anderen mit unabhängigem, guten, sauber recherchierten Inhalt zu versorgen. Das ist nach meinem Verständnis eine ganz wichtige Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Senders. Wir haben einen Bildungsauftrag!
iRights.info: Sie verwenden also originäres WDR-Material, obwohl es vermutlich nicht ohne Weiteres geht?
Ranga Yogeshwar: Das weiß ich noch nicht. In dem Moment, wo das Ganze auf einer völlig anderen Plattform läuft, die sich nicht im Kontext zum öffentlich-rechtlichen Sender definiert sondern als eigenständige Lern-Plattform gilt, kann ich das Material einsetzen. Das ist jedenfalls meine derzeitige, vielleicht naive Vorstellung.
iRights.info: Der WDR könnte das aber untersagen, vielleicht auch mit Hinweis auf die Depublizierungspflicht.
Ranga Yogeshwar: Der WDR ist ja nicht böse. Er ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt, in der sehr engagierte Leute sitzen, die das alles gerne täten. Sie stoßen eher an Ressourcenprobleme, weil die Gebühren dafür gedacht sind, Fernsehsendungen zu produzieren. Hier offenbart sich, dass es einer Aktualisierung des Rundfunkbegriffs bedarf. Erfände man heute den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu, würde er selbstverständlich das Internet und seine Eigenarten umfassen und nicht von der „Ausstrahlung“ einer Sendung ausgehen.
iRights.info: Sie versuchen also mit Ihrer Plattform einen Schleichweg zu gehen?
Ranga Yogeshwar: Wissen Sie, manchmal muss man einfach handeln und dann klärt sich das. Ich habe angefangen, das Internet im WDR zu etablieren und damals war vollkommen unklar, ob wir das überhaupt dürfen oder nicht. Man hätte mich sofort kündigen können.
iRights.info: Für diese neue Lernplattform schaffen Sie also neue Strukturen, gründen eine Produktionsfirma?
Ranga Yogeshwar: Nein, keine Firma. Es müssen zwar Leute da sein, die etwas produzieren. Aber es geht nicht darum, ein Businessmodell daraus zu machen, sondern es offen zu produzieren und dadurch etwas für die Bildung in diesem Land zu tun. Ich versuche auch hier, auf Stiftungen zuzugehen. Natürlich ist auch das eine Gratwanderung, weil Stiftungen, die Geld hineingeben, einen Bedarf an Darstellung anmelden. Dem kann man auch entsprechen: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen begnadeten Kommunikator, der diese Unterrichtsform supergut umsetzt und der auf interaktive Weise von den Schülern angesprochen werden kann. Eine Stiftung, die sich für die Plattform engagiert, könnte diesem Lehrer einen Preis überreichen und damit eine Bühne bekommen. Aber das Produkt, die Kurse als solche, dürfen durch die Förderer nicht beeinflussbar sein.
iRights.info: Wenn Sie politisch entscheiden könnten, was müsste Ihrer Meinung nach beim Urheberrecht dringlichst geändert werden?
Ranga Yogeshwar: Ich bin kein Urheberrechtsfachmann, aber im Wesentlichen geht es wohl darum: Wir haben in den Urhebern Leute, die eine gewisse intellektuelle Leistung erbringen. Und wir müssen auch in Zukunft dafür sorgen, dass diese Menschen davon leben können. Im Moment haben wir aber einen Popanz von rechtlichen Dingen, die dazu führen, so mein Eindruck, dass Rechtsanwälte und spezialisierte Abmahnkanzleien mehr verdienen als die Autoren. Diesen Popanz an formaljuristischem Dschungel finde ich auf Dauer unerträglich.
iRights.info: Gleichwohl fehlt es für viele Urheber derzeit an genügend funktionierenden Geschäftsmodellen.
Ranga Yogeshwar: Was wir bei dieser ganzen Urheberrechtsdiskussion oft vergessen ist, dass viele Autoren ihre Bücher nicht schreiben, um damit Geld zu verdienen, sondern primär, damit andere sie lesen. Wir tun so, als seien alle Autoren, alle Musiker und Maler nur noch Unternehmer. Und damit gehen wir meines Erachtens zu weit. Ich glaube, in Schweden gab es mal das Modell, den Autoren eine lebenslange Rente zu zahlen. Da ist natürlich die Frage, wer darüber entscheidet, welcher Autor diese Rente bekommt.
Aber ich wünsche mir, dass diese urheberrechtliche Debatte weniger rechtlich und mehr kulturell geführt wird. Also zu fragen: Warum machen wir das? Ich fände es sehr sympathisch, wenn alle Museen freien Eintritt hätten. Eine Familie, die heute mit drei Kindern in ein Museum geht, die zahlt unter Umständen zuviel und geht nicht rein. Warum kann ein Staat da nicht für sorgen und das auch für Schulen offen und frei halten?
Dieser Beitrag ist ein Crosspost von iRights.info vom 6.12.2013
Links:
Das Erste: Wissen vor Acht im Ersten
Zugang gestalten! – Mehr Verantwortung für das kulturelle Erbe