Konferenz: Internet and Human Rights
Zugang für alle, Meinungsfreiheit, Anonymität. Auch für’s Internet lassen sich Menschenrechte proklamieren – aber auch durchsetzen? Darüber berieten rund 100 internationale Aktivisten, Experten und Politiker Mitte September in Berlin [Hinweis: Dieser Text erschien auch als Community-Beitrag auf Freitag.de]
„Die meisten der internationalen Menschenrechts-Aktivisten zählen Deutschland zwar zum Kreis der engagierten und interessierten Ansprechpartner, doch eine konkrete Vorstellung davon, wie dieses Engagement hier vor Ort aussieht und funktioniert, haben nur wenige“, sagte ein Teilnehmer, der nicht genannt werden wollte.
Abbildung: Das internationale Logo für Menschemrechte http://www.humanrightslogo.net/download
Wie überhaupt die gesamte Konferenz Internet and Human Rights, die Ende vergangener Woche im Auswärtigen Amt in Berlin stattfand, den so bezeichneten Chatham House Rules gehorchte: Diesen Regeln entsprechend dürfen zwar Aussagen, Ideen und Meinungen nach außen getragen, nicht aber als Zitate kenntlich gemacht, und auch die Teilnehmer nicht bei Namen genannt werden. Gut, dann also „Content First“, alle Macht den Ideen, wer auch immer sie zuerst formulierte. Gemeinsam geformte Erkenntnisse sind das Ziel. Angaben auf der Konferenz-Website zufolge ging es den Veranstaltern – neben der dänischen Aarhus University und der international agierenden Organisation Human Rights Watch noch das Berliner Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) sowie das Auswärtige Amt der Bundesregierung – mit dieser Konferenz nicht allein um das Zusammenbringen von Initiativen und die Fortführung des Austausches der Aktivisten und Politiker untereinander. Vielmehr sollten die rund 100 internationalen Teilnehmer an konkreten Vorschlägen arbeiten, wie sich Internet-Menschenrechts-Kriterien wirksam integrieren lassen, etwa „bei internationalen Verhandlungen und unternehmerischen Entscheidungen“. Als konkretes Ziel
formulierten die Organisatoren daher die „Entwicklung von Handlungsempfehlungen (Policy Recommendations) für alle Interessengruppen des Digital-Zeitalters“.
Dass sich die meisten der gekommen (Internet-)Aktivisten zwar durchaus häufiger treffen, galt als zweitrangig. Wichtiger könnte gewesen sein, dass dieser „Human Rights Circus“, wie Insider sagen, diesmal in Deutschland, noch dazu in den Räumen des Auswärtigen Amtes seine Debattierzelte aufschlug – und das war vermutlich auch zeitlich kein Zufall. Denn Deutschland bewirbt sich seit ein paar Monaten derzeit um einen Sitz im Rat für Menschenrechte der Vereinten Nationen, dem UN Human Rights Council. Dieses Gremium löste 2006 die bisherige UN-Menschenrechtskommission ab und ist als Nebenorgan der UNN-Generalversammlung die diesbezüglich oberste Einrichtung, sie ist direkt allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gegenüber rechenschaftspflichtig. Der Menschenrechtsrat hat 47 Sitze, paritätisch aufgeteilt nach fünf Weltregionen, wobei pro Region im Dreijahres-Turnus mehrere Sitze neu vergeben werden, jeweils per Wahl in der UNO. Für die Periode von 2013 bis 2016 werden Ende des Jahres drei Sitze frei, darum bewirbt sich Deutschland derzeit – als einer von drei Kandidaten – um einen Sitz. Einen solchen Sitz hatte es von 2006-2009 schon einmal. [Rede von Guido Westerwelle zur deutschen Bewerbung, Flyer des Auswärtigen Amtes als PDF] Zudem tagt momentan – seit dem 10. und noch bis zum 28. September – genau dieser Menschenrechtsrat in seiner 21. Sitzung in Genf. Grund genug und gute Gelegenheit also für Deutschland, mit einer auf „Internet and Human Rights“ fokussierten Konferenz Engagement und Profil zu zeigen. Wohl auch deswegen nahm der Bundesregierungs-Beauftragte für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Markus Löning, als Leiter eines Workshops teil, und liess es sichBundesaußenminister Guido Westerwelle nicht nehmen, höchstselbst mit einer kurzen Rede am zweiten Konferenztag aufzutreten.
Das Internet sei eben kein eigener, womöglich „souveränder Staat“, wie ein Teilnehmer trocken feststellte
Westerwelle erwähnte die deutsche Bewerbung aber nicht. Er ging anfangs kurz auf die Proteste und Gewaltausbrüche bezüglich des umstrittenen „Mohammed“-Videos ein, um auch darin einen Zusammenhang zur Zweischneidigkeit des Internets zu sehen, das Fluch und Segen sei. Sätze wie, „Wir müssen Antworten auf die entscheidende Frage finden, wie wir das Internet frei, offen und sicher organisieren“, mögen stellvertretend stehen für den mehrheitlich Apell-artigen Charakter seiner Grußworte. Damit lag Westerwelle vom Tenor her nahe beim Mit-Erfinder und Wegbereiter des Internet, Vint Cerf, der per aufgezeichneter Videobotschaft den freien Zugang zum und die Neutralität des Netzes aller Netze anmahnte. So war zumindest die gemeinsame Trägerfrequenz der Konferenz klar: Das Internet sei eben kein eigener, womöglich „souveränder Staat“, wie ein Teilnehmer trocken feststellte, es ist ein weltweiter Kommunikationsraum, sozusagen die Online-Version der Oflline-Welt, in der aber die gleichen Regeln und Verabredungen gelten sollten, auch in Sachen Menschenrechte. Genau so formulierte es im übrigen vor gerade einmal zehn Wochen besagter UNO-Rat, als dieser den Zugang zum Internet explizit als Menschenrecht erklärte, ebenso wie die Meinungsfreiheit im Internet.
Doch genau an Gewährleistung und Gefährdung dieser digitalen und vernetzten Meinungsfreiheit entzünden sich seit Jahren politische Entwicklungen und Diskussionen, Initiativen und Aktionen. Sie betreffen sowohl den Umgang mit oppositionellen Kräften in repressiven, diktatorischen Staaten, als auch die Netzpolitik in demokratisch organisierten Ländern. Folgerichtig zogen sich diese Aspekte wie ein roter Faden sich durch die Konferenz. Guido Westerwelle etwa sprach sich in seiner Rede dafür aus, es zu verhindern, dass software-/technische Werkzeuge zum Ausspionieren von Oppositionellen im Internet – Stichwort unter anderem Deep Packet Inspection – an repressive Regimes geliefert würden. Wie jedoch ein solches „Softwarerüstungs“-Exportverbot konkret umgesetzt werden könnte, liess er offen. Und in den Workshops und daran angeflanschten Twitter-Diskussionen kam sogleich zur Sprache, dass ja auch deutsche Firmen solche Spyware herstellten und exportierten, etwa die Firma Gamma, wie der Konferenzbericht auf heise.de notierte. Auch hätte es aufklärische Schützenhilfe seitens deutscher Kriminalbeamte in Sachen Personen-Tracking in Social Media Networks gegeben, etwa nach Weissrussland und Aserbaidschan.
Als sich die an der Konferenz mitwirkende Staatssekretärin des Justizministeriums, Brigitte Grundmann, dann unzweideutig für das Recht auf Anonymität und Verschlüsselungen im Netz aussprach, fand das durchweg positive Beachtung
In den nicht diplomatiaschen, aber stets sachlichen Diskussionen zeigte sich, dass es für Regierungen, sagen wir mal „schwierig“ sein kann, eindeutige Positionen zu beziehen: Zwischen dem Grundsatz der Verteidigung von Freiräumen in den nationalen Netzen einerseits und der Verurteilung von Beschränkungen genau dieser Freiräume durch die Staatsmacht in anderen, als undemokratisch geltenden Ländern andererseits. Wenn beispielsweise im Zuge der Extremismus- und Terrorismus-Bebobachtung und -Verfolgung auch demokratische Staaten zu jenen Aushorch- und Überwachungs-Methoden greifen, die sie anderen Regimes eben gerade nicht zugestehen, wären Differenzierungen nötig, hiess es da. Als sich die an der Konferenz mitwirkende Staatssekretärin des Justizministeriums, Brigitte Grundmann, dann unzweideutig für das Recht auf Anonymität und Verschlüsselungen im Netz aussprach, fand das durchweg positive Beachtung, denn auch dazu gibt es in Politik und Staat sehr unterschiedliche Meinungen.
Doch gerade um Oppositionelle und Freiheits-Aktivisten vor Verfolgung und Zugriffen zu schützen, sei Anonymität regelrecht lebenswichtig, wurde beispielsweise aus Ländern, wie dem Iran und Aserbaidschan berichtet. Zu ersterem hiess es, dass Iraner zur Preisgabe ihrer (Mobil-)Telefonnummern genötigt wären, wenn sie einen Social Media-Account eröffnen wollten. Und zu Zweitem wurde darauf hingewiesen, dass es in Aserbaidschan massive Zugriffe auf „Eurovision Song Contest“-kritische Blogger gab, deren Anonymität den „Sicherheitsorganen“ eben nicht verborgen blieb. Eine Mitschuld träfe dabei die Nutzer selbst: Denn so beliebt, verbreitet und damit massenwirksam Social Media Networks wie Twitter und vor allem Facebook auch seien – so riskant sei mitunter auch die Nutzung für konkretes politisches Handeln. „Große Rückschritte“ hätten sich im Sinne von Daten- und eben Persönlichkeitsschutz durch Facebook & Co. ergeben, hiess es, weil die Sicherung und Verknüpfung der Einträge und Profildaten viel zu transparent sei und die Nutzer durch die Anbieter bewusst an einen leichtsinnigen Umgang mit ihren Daten gewöhnt würden. Hier verwiesen die Aktivisten mehrfach auf die Anonymitäts-sichernden Server des torproject , dass den Angaben eines Workshop-Teilnehmers zufolge derzeit in den USA, Deutschland und im Iran am häufigsten benutzt werde.
Es brauche eine Sensibilisierung für die Macht der Netzwerke, aber auch konkretes Werkzeugwissen, etwa zu Programm- und Profileinstellungen
Aber, nicht nur technische Lösungen seien zum Schutz oppositioneller Internet-Nutzer erforderlich, auch müsse heutzutage viel in die Aufklärung investiert werden, lauteten mehrere Plädoyers. Die Menschen müssten sich des Umgangs mit ihren Daten bewusster werden, einfach mehr wissen zu den Möglichkeiten der Verfolgung der eigenen Spuren. Es brauche eine Sensibilisierung für die Macht der Netzwerke, aber auch konkretes Werkzeugwissen, etwa zu Programm- und Profileinstellungen oder auch zur Nutzung von „Abwehrsoftware“. An dieser Stelle wurde es in den Workshops mitunter – aber berechtigterweise – ziemlich kleinteilig, denn Angriff und Abwehr, Mittel und Gegenmittel haben im Internet immer mit Zugang, Code und Programmierung zu tun. Mehr noch, es bekommt Dimensionen von Rüstung und Verteidigung – zumeist von internationaler Tragweite, aber stets das Terrain der weltweiten Menschenrechte betreffend.
Ob allerdings das geistige Eigentum und das damit mittelbar verbundene Urheberrecht – ebenfalls mehrfach auf der Konferenz diskutiert – als Menschenrechte zu betrachten sind, wusste das entsprechende Workshop-Panel am Ende nicht zu klären. Einige argumentierten im Sinne eines freien Zugangs zu Wissen und Information und verwiesen auf die Internet-Väter Cerf und Berners-Lee, die zugunsten der freien Verbreitung ihrer Idee eben auf Patentierung und Lizenzen verzichteten. Andere hielten dagegen, dass Patente, Lizenzen und künstlerische Schöpfungen Ressourcen und Produktivkräfte einer Wissensgesellschaft seien, eine Monetarisierung und der Schutz derselben rechtlich zu sichern sei, auch und gerade im Internet.
Konkrete Resolutionen oder aktuelle Kampagnen standen im Wortsinne nicht zur Debatte
Richtig neu waren all diese Blickwinkel auf die Menschenrechte im Internet nicht. Einer der Teilnehmer bemerkte dann auch, dass er seit fünf Jahren auf solchen Konferenzen und in solchen Diskussionen die immer gleichen netzpolitischen Fragen diskutiere – nur konkret passieren täte so gut wie nichts. Auch die Berliner Zwei Tage-Konferenz hinterliess keinen wirklich aktionistisch oder gar reformistisch geprägten Eindruck. Sie hatte einiges von Selbstvergewisserung, sie suchte Konsens und fand vor allem eines: statt. Workshops und Panels waren eher redselige Befundbüros als tatendurstige Aktionskomitees. Konkrete Resolutionen oder aktuelle Kampagnen standen im Wortsinne nicht zur Debatte.
Und doch können sich die zwei Berliner Tage als Impuls für die internationalen netzpolitischen Dialoge betrachten lassen. Wie nachhaltig aber das große analoge Internet-Menschenrechts-Palaver mittel- und langfristig wirkt, gerade im schnellebigen Digitalzeitalter, muss sich erst noch zeigen. Immerhin sollen die Inhalte der Beratungen in ein Bündel konkreter Handlungsempfehlungen fliessen, an denen die Organisatoren und der Beirat derzeit arbeiten. In diese sogenannten „Policy Recommendations“ sollen die Kurzvorträge und Diskussionen sowie Kommentare von Teilnehmern eingehen. Diese „Handlungsempfehlungen für alle (an Netzpolitik) Beteiligten“ könnten und sollten dann weit über die von Guido Westerwelle aufgezählten Aspekte hinausgehen, konkrete Fragen ansprechen – womöglich eine Art „Carta“ vorbereiten(?) Je nach inhaltlicher Qualität und diplomatischer Wirkungskraft, könnte die Berliner „Internet and Human Rights“-Conference damit vielleicht einen „proklamatorischen Ball“ ins internationale Spielfeld „Menschenrechte im Internet“ rollen. Besser noch: So es mit dem Sitz im Menschenrechtsrat klappt, könnte Deutschland diesen Ball dann einige Zeit am Fuß führen, ja – wie es, um im Bild zu bleiben, bei Fussballreportern so gerne heisst – sogar „Verantwortung übernehmen“. Und das würde dann gewiss wahrgenommen.
Weitere Berichte über die Konferenz:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/238591.konferenz-im-auswaertigen-amt.html
http://www.zeit.de/digital/internet/2012-09/jillian-york-netzfreiheit/komplettansicht